Im Gesundheitswesen sorgt das aktuelle Gutachten „Fachkräfte im Gesundheitswesen. Nachhaltiger Einsatz einer knappen Ressource“ für Aufsehen. Die überraschendsten Erkenntnisse des Gutachtens kommen von Prof. Dr. Michael Hallek, der darauf hinweist, dass Deutschland in der Tat über eine vergleichbare Zahl an Gesundheitsfachkräften pro Einwohner verfügt, ähnlich wie in den meisten europäischen Nachbarstaaten. Dies umfasst sowohl Pflegekräfte als auch Ärztinnen und Ärzte. Interessanterweise sind wir in dieser Hinsicht sogar führend – es sind mehr Fachkräfte verfügbar als in vielen anderen Ländern.
Doch trotz dieser Tatsache bleibt das Gefühl bestehen, dass es einen Mangel an Fachkräften im medizinischen und Pflegebereich gibt. Hallek erklärt, dass es zwar einen Fachkräftemangel gibt, jedoch nicht in der Form, wie oft dargestellt. Der entscheidende Punkt ist, dass Deutschland mehr Patienten pro Jahr in Kliniken behandelt als viele andere Länder, was zu einer Überlastung der vorhandenen Fachkräfte führt. Das Ergebnis ist eine vermeintliche Überlastung, obwohl wir theoretisch genügend Personal haben.
Strukturen und Organisation: Ein Vergleich mit Dänemark
Woran könnte das liegen? Ein wesentlicher Unterschied liegt in der Organisation des Gesundheitswesens. Hallek zieht Dänemark als Beispiel heran. In Dänemark sind mit 32 Krankenhäusern für etwa 6 Millionen Einwohner signifikant weniger Einrichtungen im Betrieb. Hochgerechnet würde Deutschland nur etwa 440 Krankenhäuser benötigen anstatt der aktuellen 1.900. Dennoch ist die Lebenserwartung in Dänemark höher als in Deutschland, was zu Überlegungen anregt, was das Gesundheitswesen hierzulande verbessern könnte.
Das dänische System setzt stark auf die ambulante Versorgung. Die Primärärzte, die vergleichbar mit unseren Hausärzten sind, koordinieren die Patientenversorgung gemeinsam mit Kommunen und sozialen Diensten. So sollten Patienten in der Regel ambulant behandelt werden, es sei denn, sie leiden an komplexen Erkrankungen, die eine Krankenhauseinweisung erfordern. Diese Organisation ermöglicht es den wenigen verfügbaren Fachkräften, sich auf die ernsthaft erkrankten Patienten zu konzentrieren.
Die Herausforderungen im deutschen Gesundheitssystem sind vielschichtig. Viele Menschen suchen die Notaufnahmen auf, obwohl ihre Anliegen auch ambulant behandelt werden könnten. Hallek geht so weit zu sagen, dass etwa die Hälfte der Fälle in den Notaufnahmen nicht notwendig wären. Ein zentrales Anliegen des Gutachtens ist es, durch eine Reform der Notfallversorgung diese Missbräuche zu verringern. Anstelle der Überlastung von Notaufnahmen könnte ein besser koordiniertes System dafür sorgen, dass Patienten an geeignete Stellen verwiesen werden, was möglicherweise 30 bis 40 Prozent weniger stationäre Aufnahmen zur Folge hätte.
Ein wichtiger Vorschlag zur Verbesserung liegt daher in der Einführung eines Primärarztsystems. Patienten sollten dazu angeregt werden, zuerst ihren Hausarzt aufzusuchen, bevor sie einen Facharzt konsultieren. Der Hausarzt kann die Folgerungen aus den Symptomen richtig interpretieren und entsprechende Behandlungen steuern. Ein solches System könnte auch dazu führen, dass Pflegekräfte in der Versorgung selbstständiger arbeiten, wodurch die Fachärzte entlastet werden.
Schritte in die Zukunft
Die elektronische Patientenakte wird als entscheidend angesehen, um die Effizienz im Gesundheitswesen zu steigern. Durch den Zugriff auf relevante Patientendaten bei allen Behandlern könnten bürokratische Hürden abgebaut werden. Prof. Hallek hat sein Gutachten bereits an Gesundheitsminister Lauterbach übergeben und erhält positive Rückmeldungen aus verschiedenen Kreisen. Es sind auch erste Schritte zur Umsetzung einiger Vorschläge im Bereich der Notfallversorgung zu beobachten.
Hallek betont die Notwendigkeit politischer Entschlossenheit, um die Reformen voranzutreiben. Das Gesundheitssystem in Deutschland ist komplex, und die viele Stimmen, die gar nicht einheitlich sind, tragen dazu bei, dass Reformen oft ins Stocken geraten oder verwässert werden. Angesichts dieser Situation ist der Ansatz des Gutachtens, auf bestehende Strukturen zu schauen und diese durch konkrete Vorschläge systematisch zu verbessern.
Ein Weg zu einer besseren Versorgung
Die grundlegenden Vorschläge zielen darauf ab, das Gesundheitswesen in Deutschland zu optimieren, damit es nicht auf dem Rücken der Patienten läuft. Hallek und sein Team sind überzeugt, dass die Bürger von einem System profitieren würden, das effizient, solidarisch und für alle zugänglich ist. Dies kann jedoch nur gelingen, wenn die Verantwortlichen bereit sind, politisch mutige Entscheidungen zu treffen und innovative Ansätze in der Patientenversorgung zu verfolgen. Der Wandel ist möglich – es braucht nur den nötigen Willen dazu.
Hintergrundinformationen zur Gesundheitsversorgung in Deutschland
Das Gesundheitssystem in Deutschland zeichnet sich durch eine duale Struktur aus, bestehend aus gesetzlicher und privater Krankenversicherung. Rund 90 Prozent der Bevölkerung sind in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) versichert. Die GKV finanziert sich durch Beiträge, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam zahlen. Dies ermöglicht den Zugang zu medizinischer Versorgung unabhängig von Einkommen oder Gesundheitszustand. Trotz dieser umfassenden Abdeckung gibt es erhebliche Herausforderungen, insbesondere im Hinblick auf die Effizienz der Versorgungsstruktur und den Fachkräftemangel im Gesundheitswesen.
Die demografische Entwicklung in Deutschland trägt zur Komplexität der Situation bei. Eine alternde Bevölkerung bedeutet, dass der Bedarf an medizinischen Dienstleistungen steigt, während gleichzeitig weniger junge Menschen in den Gesundheitsberufen ausgebildet werden. Die Politik ist gefordert, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um sowohl die Anzahl der Fachkräfte zu erhöhen als auch deren Einsatz zu optimieren, um die Qualität der Versorgung aufrechtzuerhalten.
Aktuelle Statistiken zur Fachkräftesituation
Laut dem „Bericht zur Lage der Pflege 2023“ des Bundesministeriums für Gesundheit ist der Fachkräftemangel in der Pflege weiterhin gravierend. Es wird geschätzt, dass bis zum Jahr 2030 rund 500.000 Pflegekräfte fehlen könnten, was die Qualität der Patientenversorgung gefährden würde. Im Krankenhausbereich gibt es aktuell eine relativ hohe Zahl an Ärzte, jedoch sind Überstunden und hohe Arbeitsbelastungen weit verbreitet, was die Zufriedenheit und Gesundheit des Personals beeinträchtigen kann.
Ein Bericht der Deutschen Krankenhausgesellschaft zeigt, dass im Jahr 2023 über 2 Millionen Krankenhausaufenthalte ohne zwingende medizinische Notwendigkeit stattfanden. Dies verdeutlicht die Notwendigkeit von effektiveren Versorgungsmodellen, die eine Überlastung der Krankenhäuser und des medizinischen Personals vermeiden können.
Historische Parallelen zu aktuellen Herausforderungen
Ein historischer Vergleich lässt sich mit dem deutschen Gesundheitssystem der 1990er Jahre ziehen, als es zu einer massiven Reform des Gesundheitswesens kam. Die Einführung des Diagnosis Related Groups (DRG)-Systems sollte zu einer effizienteren Nutzung der Ressourcen führen. Damals kam es ebenfalls zu Diskussionen über die optimale Anzahl an Krankenhausbetten und die Rolle der ambulanten Versorgung. Diese Reformen führten zwar zu einem Rückgang der Krankenhausaufenthalte, doch die anhaltenden Herausforderungen der Überlastung im Gesundheitswesen blieben bestehen. Ähnlich wie heute müssen auch damals innovative Ansätze zur Reduzierung der Hospitalisierungsrate entwickelt werden.
Ein weiterer interessanter Vergleich ist die Situation in den skandinavischen Ländern, wo Effizienz und Patientenversorgung durch innovative Ansätze in der Primärversorgung und eine stärkere Ausrichtung auf ambulante Behandlungen optimiert wurden. In Ländern wie Schweden und Norwegen haben umfassende Reformen in den letzten Jahrzehnten dazu beigetragen, die Gesundheitskosten zu senken und gleichzeitig die Qualität der Patientenversorgung zu verbessern. Deutschland könnte von diesen Ansätzen lernen und sie an die hiesigen Gegebenheiten anpassen.