Wiesbaden (dpa) – Ein alarmierender Trend zeigt sich in den Lehrerkollegien an deutschen Schulen: Die Anzahl von Quereinsteigern und Seiteneinsteigern nimmt kontinuierlich zu. Aktuelle Zahlen des Statistischen Bundesamtes belegen, dass im Schuljahr 2022/23 rund 71.100 Lehrkräfte an den allgemeinbildenden Schulen keine anerkannte Lehramtsprüfung abgelegt haben. Dies entspricht einem Anteil von 9,8 Prozent der insgesamt 724.800 Lehrkräfte.
Im Vergleich dazu war der Anteil im Schuljahr 2012/13 noch bei 5,6 Prozent, was bedeutet, dass damals knapp 37.400 Lehrkräfte dieser Gruppe angehörten. Die Zahlen verdeutlichen, dass der erhöhte Anteil von nicht ausgebildeten Lehrkräften eine Konsequenz des akuten Lehrkräftemangels in Deutschland ist.
Anstieg an beruflichen Schulen
Besonders alarmierend ist die Situation an den beruflichen Schulen, wo der Anteil der Quereinsteiger und Seiteneinsteiger sogar noch höher ist. Im Schuljahr 2022/23 haben 21,2 Prozent der 123.500 Lehrkräfte an beruflichen Schulen keinen anerkannten Lehramtsabschluss. Zum Vergleich: Im Jahr 2012 lag dieser Anteil bei 11,9 Prozent.
Um die Begriffe etwas aufzuklären, bezeichnet man Seiteneinsteiger als Personen, die nicht über ein vollwertiges Lehramtsstudium verfügen und ohne Referendariat an Schulen eingestellt werden. Bei Quereinsteigern ist hingegen das Durchlaufen eines Referendariats erforderlich, um als Lehrkraft tätig zu werden.
Sprunghafter Anstieg der Studienanfänger
Während immer mehr Lehrkräfte ohne formale Qualifikation in den deutschen Schulalltag eintreten, gibt es auch Lichtblicke. Der Rückgang der Studienanfänger in Lehramtsstudiengängen scheint sich zu stabilisieren. Im Jahr 2023 haben laut den Statistikern gut 46.400 Personen ein Lehramtsstudium begonnen, was einen Anstieg von 2,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr darstellt. Allerdings liegt die Zahl immer noch um 2,1 Prozent unter dem Niveau von vor zehn Jahren.
Die Situation der Lehramtsabsolventen zeigt hingegen einen rückläufigen Trend. Im Prüfungsjahr 2022 haben rund 28.700 Studierende ihre Abschlussprüfungen in Lehramtsstudiengängen bestanden. Im Vergleich zum Vorjahr, als die Zahl bei etwa 28.900 lag, fällt der Rückgang nur geringfügig aus. Betrachtet man jedoch die letzten zehn Jahre, ist die Anzahl der Absolventen um 10,5 Prozent gesunken.
Die Herausforderungen, vor denen das Bildungssystem in Deutschland steht, sind unbestreitbar. Die hohe Zahl an Quereinsteigern, die oft aufgrund des Fachkräftemangels in den Unterricht kommen, wirft Fragen zur Qualität der Lehre und der Ausbildung auf. Es ist offensichtlich, dass der Mangel an qualifizierten Lehrkräften eine dringende Lösung erfordert, um die Bildung nachhaltig zu gewährleisten und die Lernbedingungen für die Schüler zu verbessern.
Ein Blick in die Zukunft
Die Statistiken und Trends verdeutlichen die Notwendigkeit eines Umdenkens innerhalb des Bildungssystems. Akteure aus Bildungspolitik und Schulverwaltung sind gefordert, Lösungen zu entwickeln, um sowohl die Attraktivität des Lehrerberufs zu steigern als auch die Ausbildung von Lehrkräften zu optimieren. Das Ziel muss sein, eine konsequente und qualitativ hochwertige Ausbildung sicherzustellen, um die gewünschten Standards in der schulischen Bildung zu gewährleisten.
Angesichts des weiterhin wachsenden Bedarfs an Lehrkräften könnte ein innovativer Ansatz dazu beitragen, die Kluft zwischen Angebot und Nachfrage zu schließen. Hierbei könnten beispielsweise neue Ausbildungsformate, bessere Arbeitsbedingungen und gezielte Werbemaßnahmen für den Lehrerberuf in Betracht gezogen werden. Die Frage bleibt jedoch, wie schnell und effektiv diese Maßnahmen umgesetzt werden können, um den Herausforderungen im deutschen Bildungssystem gerecht zu werden.
Ursachen des Lehrkräftemangels
Der Anstieg der Quer- und Seiteneinsteiger in deutschen Schulen ist eng verbunden mit dem anhaltenden Lehrkräftemangel, der durch mehrere Faktoren bedingt ist. Ein wesentlicher Grund dafür ist die demografische Entwicklung. In den letzten Jahren sind viele erfahrene Lehrkräfte in den Ruhestand gegangen, während die Anzahl der Studierenden, die ein Lehramtsstudium beginnen, nicht ausreicht, um diese Lücken zu füllen. Laut dem Kultusministerkonferenz sind auch die Rahmenbedingungen für Lehrkräfte, wie etwa Arbeitsbelastung und Gehalt, weniger attraktiv geworden, was das Berufsfeld für neue Bewerber unattraktiver macht.
Zusätzlich gibt es regional signifikante Unterschiede: Während in einigen Bundesländern der Lehrermangel besonders ausgeprägt ist, haben andere Regionen weniger Probleme, geeignete Lehrkräfte zu gewinnen. Hessen und Sachsen-Anhalt beispielsweise berichten von einer hohen Anzahl an unbesetzten Stellen, während Bundesländer wie Bayern und Baden-Württemberg, die als besonders attraktiv gelten, weniger betroffen sind.
Qualität der Lehrkräfte und Bildungsergebnisse
Die Integration von Quer- und Seiteneinsteigern in den Schuldienst wirft Fragen zur Qualität der Lehrkräfte auf. Studien zeigen, dass Schülergebnisse oft von der Qualifikation ihrer Lehrkräfte abhängen. Eine Analyse des Instituts für Informationswissenschaft und Bildung hat herausgefunden, dass Lehrer mit abgeschlossener Lehrerbildung tendenziell bessere Leistungen bei ihren Schülern fördern können. Doch die Situation ist komplex: Viele Quer- und Seiteneinsteiger bringen wertvolle Lebenserfahrungen und Expertenwissen aus anderen Berufsbereichen mit, die den Unterricht bereichern können.
Dennoch ist die Unterstützung solcher Lehrkräfte entscheidend. Programme zur berufsbegleitenden Weiterbildung und Mentoring sind notwendig, um sicherzustellen, dass auch Quer- und Seiteneinsteiger die nötigen pädagogischen Kompetenzen erlangen, die für einen erfolgreichen Unterricht erforderlich sind.