Das Streben nach hohen Zielen ist weit verbreitet und kann viele positive Auswirkungen auf das Leben haben. Doch was passiert, wenn aus dem Streben nach Perfektion ein ungesundes Verhalten entsteht? Eine aktuelle Studie der Universität Marburg zeigt, dass Perfektionisten nicht nur unter enormem Stress leiden, sondern auch Schlafprobleme haben können. Stress im Beruf lässt sie oft schlechter schlafen und beeinträchtigt somit ihre allgemeine Lebensqualität.
Die Psychotherapeutin Melanie Wegerer aus Wien warnt, dass die Festhaltung an unrealistisch hohen Standards schädlich werden kann. „Es ist absolut in Ordnung, sich hohe Ziele zu setzen. Problematisch wird es allerdings, wenn man trotz sehr negativer Folgen an diesen Zielen festhält“, erklärt sie. Perfektionismus kann Menschen daran hindern, das Beste aus ihrem Leben zu machen.
Ein Blick auf verschiedene Arten von Perfektionismus
Laut den kanadischen Psychologen Paul Hewitt und Gordon Flett gibt es drei Hauptarten des Perfektionismus: den selbstorientierten Perfektionismus, bei dem man selber der größte Kritiker ist, den fremdorientierten, bei dem man andere – wie Mitarbeiter oder Kinder – auf eine unerreichbare Stufe heben möchte, und den sozial vorgeschriebenen Perfektionismus, wo externen Erwartungen Rechnung getragen werden muss. Besonders ausgeprägter Perfektionismus kann, so die Studie, häufig zu Schlafstörungen führen, da die Betroffenen ständig unter dem Druck stehen, die Erwartungen ihrer Vorgesetzten zu erfüllen.
Die Studienautorin Kathleen Otto erklärt, dass viele Perfektionisten Schwierigkeiten haben, Aufgaben abzuschließen, aus Angst vor Fehlern. Diese Prokrastination führt zu einem erhöhten Zeitdruck und der Unfähigkeit, nach der Arbeit abzuschalten, was für einen erholsamen Schlaf unerlässlich ist.
Ein weiteres Problem, das Perfektionisten betrifft, ist die Zusammenarbeit im Team. Oft sind sie in Konflikte verwickelt und werden von Kollegen als weniger beliebt angesehen. In einer Auswahl von Teammitgliedern schneiden Perfektionisten häufig schlecht ab, was ihre soziale Akzeptanz beeinträchtigt.
Die Auswirkungen von hohen Erwartungen
Die Belastungen durch Perfektionismus sind nicht nur auf das Individuum beschränkt. In einer weiteren Studie stellte Otto fest, dass Führungskräfte, die unter hohem Leistungsdruck stehen, oft Aufgaben delegieren, die nicht geeignet sind, wodurch Mitarbeiter entmutigt und möglicherweise unzufrieden werden. Ein solcher Druck kann letztendlich zu erhöhten Kündigungsraten führen, da Mitarbeiter nach Erfüllung ihrer Bedürfnisse in der Arbeit streben.
Thomas Curran, Psychologieprofessor an der London School of Economics, hat ebenfalls beobachtet, dass vor allem junge Menschen in den letzten décadas zunehmend perfektionistisch geworden sind. Er analysierte Daten von über 42.000 College-Studierenden und fand heraus, dass die durchschnittlichen Werte für Perfektionismus zwischen 1989 und 2016 deutlich gestiegen sind. Curran sieht in den steigenden gesellschaftlichen Anforderungen und dem Wettbewerb in Bildungseinrichtungen einen der Gründe, warum junge Erwachsene zunehmend unter einem enormen Druck stehen, perfekte Leistungen zu erbringen.
Während genetische Faktoren eine Rolle spielen können, wird auch die Erziehung als wichtiger Einflussfaktor betrachtet. Wenn Kinder das Gefühl haben, nicht akzeptiert zu werden oder die Erwartungen ihrer Eltern nicht erfüllen zu können, kann diese Unsicherheit zu perfektionistischem Verhalten führen.
Die Herausforderungen, die Perfektionismus mit sich bringt, können schwerwiegende Folgen haben. Viele Betroffene kämpfen mit Depressionen, Angststörungen oder sogar Suizidgedanken. Für Menschen, die unter extrem hohen Selbstanforderungen leiden, können einfache soziale Interaktionen zur Herausforderung werden.
Wege zu mehr Gelassenheit
Ein wichtiger Schritt zur Überwindung von schädlichem Perfektionismus besteht darin, die eigenen Standards zu hinterfragen. Melanie Wegerer schlägt vor, sich Fragen zu stellen wie: „Leide ich unter meinem Perfektionismus? Fühle ich mich gezwungen, meine hohen Standards immer zu erfüllen?“ Diese Reflexion kann helfen, die eigenen Werte zu verändern und gesündere Ziele zu setzen. Kleine Ziele, realistische Zeitlimits und häufige Pausen können helfen, das eigene Wohlbefinden zu steigern.
Es ist wichtig, dass Betroffene rechtzeitig Hilfe von Fachleuten in Anspruch nehmen, besonders wenn sie Symptome einer psychischen Erkrankung wie depressive Stimmung oder Angstgefühle feststellen. In vielen Fällen kann kognitive Verhaltenstherapie helfen, das Verhalten zu ändern.
Umgekehrt ist es wichtig, dass Menschen im Umfeld von Perfektionisten Geduld zeigen und frühzeitig Feedback geben, um eine Überlastung zu vermeiden. Das Erlernen von Gelassenheit und das Streben nach einem ausgewogenen Leben sind entscheidend für das persönliche Wohlbefinden.
Ein bedeutender Aspekt des Perfektionismus ist seine zugrundeliegende Psychologie, die oft mit Ängsten und sozialen Erwartungen verknüpft ist. Studien zeigen, dass Perfektionisten häufig unter Leistungsangst leiden, eine Form von Angst, die speziell auf die Furcht abzielt, die eigenen hohen Standards nicht zu erfüllen. Laut einer Studie der Universität Bristol wurde festgestellt, dass solche Ängste zu einem Rückgang des psychischen Wohlbefindens führen können, da Perfektionisten sich ständig mit anderen vergleichen und eine traumatische Innenansicht entwickeln, die sie unter Druck setzt, übermäßig leistungsfähig zu sein. Um dieser Dynamik entgegenzuwirken, ist es wichtig, das Bewusstsein für die möglicherweise toxische Natur von überhöhter Selbstkritik zu schärfen und alternative Perspektiven zu fördern, wie etwa Selbstmitgefühl.
Eine weitere wichtige Dimension ist die gesellschaftliche Wahrnehmung, die den Druck auf Individuen erhöhen kann, perfekt zu sein. Die Auswirkungen der sozialen Medien, die oft idealisierte Lebensstile und Erfolge präsentieren, führen zu einem veränderten Selbstbild und können den Wunsch nach Perfektion verstärken. Laut einer Untersuchung von Pew Research Center haben 69 % der Jugendlichen angegeben, dass soziale Medien oft den Druck erhöhen, einen perfekten Eindruck zu hinterlassen. Diese Plattformen sind so strukturiert, dass sie positive Rückmeldungen für Erfolge und Erlebnisse belohnen, was den Kreislauf des Perfektionismus weiter nährt.
Faktoren, die Perfektionismus begünstigen
Die Faktoren, die zur Entstehung von Perfektionismus beitragen, sind vielfältig. Genetik spielt eine Rolle, wie Studien zeigen, dass bestimmte Persönlichkeitseigenschaften, die mit Perfektionismus assoziiert sind, vererbt werden können. Eltern spielen ebenfalls eine entscheidende Rolle, da ihre Erwartungen und der Erziehungsstil (z.B. hohe Anforderungen oder übermäßige Kontrolle) einen erheblichen Einfluss auf die Perfektionsansprüche von Kindern haben können. Der Psychologe Thomas Curran identifizierte in seiner Forschung, dass sich diese Erziehungsstile im Laufe der Jahre verändert haben, was zu einem Anstieg des Perfektionismus bei jüngeren Generationen geführt hat.
Statistiken über Perfektionismus
Eine Analyse der Trends rund um Perfektionismus zeigt, dass zwischen 1989 und 2016 die Werte bei College-Studenten in den USA, Kanada und England dramatisch angestiegen sind. Über 30 % der Studierenden gaben an, in hohem Maße perfektionistisch zu sein, was nihct nur ihre akademische Leistung, sondern auch ihr emotionales Wohlbefinden beeinflusst. Laut der Studie haben Perfektionisten nicht nur geringere Lebenszufriedenheit, sondern auch signifikant höhere Raten an Angst und Depression, was die Dringlichkeit verdeutlicht, das Thema ernsthaft anzugehen.
Der Zugang zu Informationen und Ressourcen über psychische Gesundheit bleibt entscheidend, um das wachsende Problem des Perfektionismus zu adressieren. Verschiedene Programme und Therapien zur Förderung von Selbstwertgefühl und Resilienz haben sich erfolgreich bewährt, um den Druck zu reduzieren, den Perfektionisten oft verspüren, und um gesunde Bewältigungsmechanismen zu fördern. Die Unterstützung durch Fachkräfte und das Angebot von Selbsthilfetechniken können bedeutende Schritte in die richtige Richtung sein, um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Lebenszielen und psychischem Wohlbefinden zu erreichen.