In Prenzlau steht ein Grabstein, der an ein tragisches Kapitel der Geschichte erinnert. Auf diesem Friedhof wurden die Überreste von 66 Kindern und drei Erwachsenen beigesetzt, die während eines massiven Trecks zwischen 1928 und 1930 ihr Leben verloren haben. Diese Menschen waren Wolgadeutsche, die unter extremen Bedingungen litten, während sie versuchten, aus der Sowjetunion zu fliehen. Der Hintergrund dieses Schicksals ist im Prenzlauer Stadtlexikon von Jürgen Theil gut dokumentiert und erzählt von der Zwangskollektivierung, die Ende der 1920er Jahre stattfand.
Die Zwangskollektivierung in der Sowjetunion führte dazu, dass viele Menschen, insbesondere Bauern, ihre Heimat verlassen mussten. Um ihre Lebensumstände zu verbessern, begaben sich 13.000 mennonitische Bauern auf den Weg nach Deutschland. Bei ihrem Protest auf dem Roten Platz in Moskau im Jahr 1929 forderten sie Einreiseerlaubnisse für ihr neues Leben. Von diesen traf es jedoch nur die Hälfte, die tatsächlich ausreisen konnte. Unter den Ausreisenden waren diese Wolgadeutschen, die auf ihrer gefährlichen Reise oft mit Krankheiten, Hunger und anderen Entbehrungen konfrontiert waren.
Öffentliches Gedenken an die Opfer
Die Stadtverwaltung von Prenzlau, vertreten durch Susanne Ramm, erinnert an die tragischen Schicksale, die viele nicht überlebten. „In der Roten Kaserne in Prenzlau wurden 1.800 Wolgadeutsche untergebracht. Trotz der Hilfe der einheimischen Bevölkerung starben in dieser leidvollen Zeit 66 Kinder und drei Erwachsene. Sie wurden schließlich in einem Massengrab beerdigt,“ erklärte Ramm. Diese Angaben verdeutlichen die Bedeutung des Gedenkens an diese Menschen und ihre Leiden.
Um diesem Andenken gerecht zu werden, findet am Mittwoch, dem 28. August, um 16 Uhr eine öffentliche Gedenkveranstaltung am Erinnerungsstein statt, zu der der Bürgermeister und der Vorsitzende der Stadtverordnetenversammlung einladen. An diesem Tag wird der Opfer gedacht, und ihre Geschichte wird nicht in Vergessenheit geraten. Es ist eine Gelegenheit für die Bürger, zusammenzukommen, um sich der Schäden und Verletzungen, die diese Menschen erlitten haben, bewusst zu werden.
Bedeutung des Gedenkens
Die Erinnerungsveranstaltung wird nicht nur für die Bürger von Prenzlau von Bedeutung sein, sondern spricht auch eine breitere Öffentlichkeit an, die sich mit den Themen Zwangsmigration und Flucht auseinandersetzt. In einer Zeit, in der solche Themen wieder aktuelle Relevanz erlangen, wird hier ein Zeichen gesetzt für das Gedenken an die Vergangenheit und das Bewusstsein für die gegenwärtigen Herausforderungen. Durch das öffentliche Gedenken wird es möglich, die Erinnerung an die Wolgadeutschen zu bewahren und ihr Leid sichtbar zu machen.
In der heutigen Welt, in der viele Menschen aus Kriegsgebieten und von Verfolgung betroffen sind, kann diese Geschichte auch als Mahnung dienen. Sie zeigt auf, wie wichtig es ist, Menschlichkeit und Unterstützung in Zeiten des Leids zu zeigen. Die Gedenkveranstaltung wird ein Raum sein, um auch zwischen den Generationen eine Verbindung herzustellen und das Wissen über die Vergangenheit weiterzugeben.
Die Begegnung am Erinnerungsstein wird die Schicksale der 66 Kinder und drei Erwachsenen nicht vergessen lassen. Es wird die Gelegenheit geboten, ihrer zu gedenken und die Lehren aus ihrer leidvollen Geschichte zu ziehen. Dieses Gedenken repräsentiert nicht nur den Verlust von Leben, sondern auch den unaufhörlichen Kampf der Menschen auf der Suche nach Sicherheit und einem besseren Leben.
Kontext der Zwangsmigration der Wolgadeutschen
Die Wolgadeutschen waren Nachkommen deutscher Siedler, die im 18. Jahrhundert auf Einladung von Katharina der Großen in Russland ansiedelten. Diese Gruppe behielt ihre kulturellen und sprachlichen Traditionen über Generationen hinweg, bis sie gegen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts zunehmend unter Druck geriet. Die politischen Umwälzungen in Russland, insbesondere während der Revolution von 1917 und der darauffolgenden Bürgerkriege, führten zu einer massiven Verunsicherung und Verfolgung dieser Gemeinschaft.
In den späten 1920er Jahren intensivierten sich die Maßnahmen gegen die Wolgadeutschen unter dem Stalin-Regime. Die Zwangskollektivierung der Landwirtschaft führte dazu, dass zahlreiche Bauern, darunter auch viele Wolgadeutsche, ihr Land und ihre Existenzgrundlage verloren. Dies war eine der Hauptursachen für die massenhafte Flucht dieser Gruppen aus der Sowjetunion in Richtung Deutschland, wo sie Hoffnung auf ein besseres Leben hatten, jedoch oft durch das Elend und die bürokratischen Hürden ihrer Abreise geplagt wurden.
Die Rolle von Hilfsorganisationen
Um die Ausreise der Wolgadeutschen zu unterstützen, wurden verschiedene Hilfsorganisationen gegründet. Die mennonitische Gemeinschaft in der Sowjetunion spielte eine wichtige Rolle dabei, den Ausreisewilligen zu helfen, und viele Flüchtlinge wurden in Deutschland von Angehörigen und Freunden vor Ort empfangen. Diese Unterstützung war hilfreich, um eine schnelle Integration in die Gesellschaft zu ermöglichen und die Überlebenden nach den Schicksalsschlägen der Flucht und dem Verlust von Angehörigen wieder aufzubauen.
Die Ankunft vieler Wolgadeutscher in Deutschland war jedoch alles andere als einfach. Die Flüchtlinge mussten sich in einem neuen kulturellen Kontext zurechtfinden, oft mit begrenzten Ressourcen, was zu Spannungen innerhalb der aufnehmenden Gesellschaft führte. Der Umgang mit diesen Herausforderungen prägt bis heute das kollektive Gedächtnis der Wolgadeutschen und ihrer Nachkommen.
Das Erbe der Wolgadeutschen und heutige Gedenkveranstaltungen
Die Gedenkveranstaltungen wie die am 28. August dienen nicht nur dazu, der verstorbenen Kinder und Erwachsenen zu gedenken, sondern auch, um das Bewusstsein für die Geschichte der Wolgadeutschen zu schärfen. Diese Ereignisse sind wichtig für die Aufarbeitung von Geschichte und für den Dialog über Migration, Identität und kulturelles Erbe in der heutigen Gesellschaft.
Zudem wurden in den letzten Jahren in Deutschland verschiedene Initiativen ins Leben gerufen, die sich mit der Geschichte und dem Erbe der Wolgadeutschen befassen. Dies umfasst nicht nur Schulprojekte und Ausstellungen, sondern auch die Erfassung und Dokumentation von persönlichen Geschichten von Nachkommen der Wolgadeutschen. Solche Bemühungen tragen dazu bei, die Erinnerung an diese Geschichte lebendig zu halten und die Herausforderungen, die mit Migration und Zugehörigkeit verbunden sind, aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten.