Im Süden Deutschlands spitzt sich die Sorge zu, dass der hiesige Strommarkt in mehrere Preiszonen aufgeteilt werden könnte. Diese Befürchtungen wurden kürzlich in einem gemeinsamen Appell laut, in dem sich die Industrie- und Handelskammern der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz und Saarland sowie die Übertragungsnetzbetreiber Amprion und TransnetBW für eine einheitliche Position aller Bundesländer ausgesprochen haben. Sie unterstreichen die Relevanz einer einheitlichen Strompreiszone für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft.
Sollte es tatsächlich zu einer Aufteilung kommen, befürchten die Wirtschaftsvertreter aus dem Süden höhere Strompreise und eine eingeschränkte Investitionssicherheit. Zudem könnte der Ausbau der Übertragungsnetze langsamer vorankommen. In einem am Mittwoch veröffentlichten Positionspapier wird betont, dass nur die Aufrechterhaltung einer einheitlichen Preiszone stabile Rahmenbedingungen, eine zuverlässige Energieversorgung und somit auch das Erreichen der Klima-Ziele der Bundesregierung gewährleiste.
EU-Vorschlag zur Marktaufteilung
Im Hintergrund steht ein Vorschlag der EU-Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER) aus dem August 2022, Deutschland in bis zu fünf unterschiedliche Strompreiszonen aufzuspalten. Dieses Konzept geht davon aus, dass die Märkte die physikalischen Gegebenheiten der Strominfrastruktur widerspiegeln sollten. Dies bedeutet, dass Regionen mit weniger netztechnischen Verbindungen von anderen Preiszonen abgetrennt werden sollten, um zu verhindern, dass beispielsweise Windenergie aus dem Norden nicht effektiv in den Süden geleitet werden kann.
Aktuell entstehen hohe Kosten aufgrund von Redispatch-Maßnahmen, die in erster Linie dann greifen, wenn teure Kraftwerke für die Stromversorgung eingesetzt werden müssen, weil es an zugänglichen Übertragungsleitungen mangelt. Im Jahr 2022 beliefen sich diese Kosten auf 4,2 Milliarden Euro, während sie 2023 auf 3,1 Milliarden Euro sanken.
Kritik an den Überprüfungsprozessen
Das Bündnis aus den süddeutschen Industriekreisen kritisiert insbesondere die Überprüfung der aktuellen Strompreisstruktur, die von ACER initiiert wurde. Ein Bericht zu den zukünftigen Preiszonen wird im vierten Quartal 2023 erwartet. Es wird jedoch befürchtet, dass der Netzausbau bis zum Jahr 2025 nicht ausreichend berücksichtigt wird. Dieser umfasst neue Stromleitungen zwischen Nord- und Süddeutschland, die das bestehende Netz entlasten sollen.
Wenn diese neuen Infrastrukturen nicht rechtzeitig in Betrieb genommen werden können, könnte die Befürchtung einer Aufteilung in verschiedene Zonen aufgrund gegenwärtiger netztechnischer Engpässe besonders stark zunehmen. Nach Ansicht des Bündnisses würde eine späte Entscheidung auf Basis von nicht vollständig durchgeführten Netzausbau-Evaluierungen der Marktstruktur schaden.
Die möglichen finanziellen Folgen einer Aufteilung wären drastisch. Laut Berechnungen des Unternehmens Aurora Energy Research könnten die Kosten für Strom in der Industrie pro Megawattstunde (MWh) um bis zu neun Euro steigen. Solch hohe Preise könnten Investitionen in erneuerbare Energien erheblich gefährden, was insbesondere den Ausbau von Offshore-Windkraftprojekten beeinträchtigen könnte.
Die Einführung von gebotszonenübergreifenden Stromabnahmeverträgen wäre zudem nur erschwert umsetzbar, was viele Unternehmen vor Herausforderungen stellen würde.
„Eine einheitliche Preiszone für Deutschland muss erhalten bleiben! In dieser kritischen Phase der Energiewende benötigen wir Stabilität, keinen zusätzlichen Druck“, erklärt Jan Stefan Roell, Vizepräsident des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertags.
Stimmen für eine Aufteilung
Allerdings gibt es auch namhafte Stimmen, die für eine Aufteilung des Strommarktes sprechen. Energieökonomen wie Veronika Grimm und Achim Wambach haben sich bereits für eine unterschiedliche Preisgestaltung ausgesprochen, um die Märkte effizienter zu gestalten. Diese Pläne finden Unterstützung in mehreren nördlichen Bundesländern, die mit einer solchen Maßnahme niedrigere Strompreise für ihre Bürger und Unternehmen anstreben.
Bislang scheinen die politischen Tendenzen in Deutschland jedoch darauf hinzudeuten, dass die einheitliche Strompreiszone aufrechterhalten werden soll. Dies wurde bereits von Bundeskanzler Olaf Scholz sowie vom Vorsitzenden der Grünen, Omid Nouripour, bekräftigt.
Falls die Überprüfung der Preiszonen tatsächlich zu Empfehlung einer Marktaufteilung führen sollte, stünde es den EU-Mitgliedsstaaten frei, diese Entscheidung zu akzeptieren oder abzulehnen. Politische Einigkeit oder auch Uneinigkeit könnte daher entscheidend für die zukünftige Energiepreispolitik Deutschlands sein.