Die bayerische Wirtschaft ist in Alarmbereitschaft: Die Möglichkeit einer Erhöhung der Strompreise steht im Raum, und dies hat direkte Auswirkungen auf die industrielle Leistungsfähigkeit des Freistaats. Im Zentrum dieser Sorgen steht das derzeitige Marktverfahren der EU-Behörde Acer, das darauf abzielt, die bestehenden Ungleichheiten im deutschen Strommarkt zu beheben. Während die Strompreise in Deutschland theoretisch einheitlich sind, zeigt die Realität ein drastisches Preisgefälle zwischen dem Süden und dem Norden des Landes.
In München befürchten Ökonomen und Wettbewerbsforscher, dass diese Marktverzerrungen zu zusätzlichen finanziellen Belastungen für die Bayerische Industrie führen könnten. Besonders betroffen sind energieintensive Betriebe, die auf eine stabile Preisgestaltung angewiesen sind. Dies zeigt einmal mehr, dass das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage im deutschen Energiemarkt alles andere als optimal funktioniert.
Herausforderungen im deutschen Strommarkt
Im Jahr 1998 wurde die Grundlage für den großen deutschen Strommarkt geschaffen, indem viele kleine Gebietsmonopole zu einem einheitlichen Markt zusammengefasst wurden. Dieses System erlaubt es Verbrauchern und Anbietern, Elektrizität unabhängig vom Erzeugungsort zu kaufen. Dennoch zeigt sich, dass preisbestimmende Faktoren in den verschiedenen Regionen stark divergieren können. Vor allem in Zeiten hoher Nachfrage und begrenztem Angebot sind die Folgen für Unternehmen dramatisch.
Um diese Herausforderungen zu bewältigen, ist der Ausbau der Hochspannungs-Gleichstromleitungen von zentraler Bedeutung. Besonders relevant für Bayern ist der geplante Suedostlink, der eigentlich schon 2022 fertiggestellt sein sollte. Politische Hürden haben jedoch dazu geführt, dass dieser wichtige Infrastrukturprojekts erst frühestens 2027 in Betrieb gehen wird. Entscheidungen von politischen Entscheidungsträgern, die gegen sogenannte „Monstertrassen“ plädieren und den Bau als Erdkabel fordern, haben diese Verzögerungen hervorgerufen.
Der ungerechte Strompreis und seine Folgen
Ein gravierendes Problem des aktuellen Marktes ist, dass die notwendige physische Verbindung zwischen Erzeugung und Vertrieb oft nicht gegeben ist. So können zum Beispiel norddeutsche Windkraftanlagen große Mengen Strom produzieren, während gleichzeitig im Süden die Nachfrage nicht gedeckt werden kann. Laut renommierten Wirtschaftswissenschaftlern wird die Frage, welches Kraftwerk genutzt wird, häufig „vor dem Netz“ verhandelt, was bedeutet, dass bei der Preisbildung keine Rücksicht auf tatsächliche Transporte zwischen den Regionen genommen wird.
Dies hat zur Folge, dass in Bayern Gaskraftwerke aufgrund fehlender Anreize stillstehen, obwohl es im Norden einen Überfluss an Windstrom gibt. Gleichzeitig sind lokale Pumpspeicherkraftwerke gezwungen, aus Gründen der Preissignale, Wasser in die Berge zu pumpen, während die Nachfrage in Süddeutschland nicht gedeckt werden kann. Diese Ineffizienz verursacht nicht nur wirtschaftliche Verluste, sondern führt auch zu höheren Energiekosten für die Verbraucher.
Die anfallenden Kosten, die durch einen sogenannten „Redispatch“ entstehen – bei dem Kraftwerke ihre Erzeugung anpassen müssen, um das Netz im Gleichgewicht zu halten – werden auf die Netzentgelte umgelegt. Dies führt zu einem Anstieg der Strompreise, ohne dass es zu einer steuernden Wirkung auf dem Markt kommt. Viele Ökonomen fordern daher, Deutschland in mehrere Preiszonen zu unterteilen, um diese Marktverzerrungen zu reduzieren und den Wettbewerb zu fördern.
Die bayerische Industrie wird durch diese Entwicklungen in eine prekäre Lage gebracht. Vertreter von Verbänden und Gewerkschaften argumentieren vehement gegen eine mögliche Aufteilung der deutschen Strompreiszone, da dies die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Bayern massiv gefährden könnte. „Eine Teilung würde für die bayerische Wirtschaft höhere Kosten bedeuten und die Standortbedingungen verschlechtern“, sagt Manfred Gößl, Präsident der Industrie- und Handelskammer München.
Es besteht jedoch Hoffnung, da die Bundesregierung bereits Maßnahmen ergriffen hat, um den Netzausbau voranzutreiben. Bis 2030 soll in Bayern mindestens vier Gigawatt Übertragungsleistung nach Norden realisiert werden, um die bestehende Lücke zu schließen und den Stromtransport zwischen den Regionen zu erleichtern. Auch die Windkraftbranche schaut sorgenvoll auf die bevorstehenden Entscheidungen und betont die Notwendigkeit, dass Deutschland ein starkes Industrieland bleibt, in dem ihr grüner Strom auch gefragt ist.