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Ganztagsschulen in Bayern: Ein Weg zu mehr Bildungsgerechtigkeit?

Ein bayerischer Schulleiter, Helmut Klemm von der Eichendorffschule in Erlangen, kritisiert am 5. September 2024 das traditionelle Halbtagsschulsystem als „schlimmste Form der Schule“ und fordert mehr Ganztagsbildung, um Konflikte zu lösen und Bildungsgerechtigkeit zu fördern.

In Deutschland ist eine Schulsituation zu beobachten, die viele Pädagogen besorgt. Der Schulleiter Helmut Klemm aus Erlangen betont die Bedeutung von Ganztagsschulen und schildert die Herausforderungen, die mit dem Halbtagsschulsystem einhergehen. In einem Interview mit BuzzFeed News Deutschland spricht er über die strukturellen Probleme und die künstliche Trennung von Erziehungs- und Bildungsinhalten, die sich in vielen Schulen bemerkbar machen.

Klemm beobachtet, dass es in seiner Schulgemeinschaft eine hohe Zahl an Konflikten gibt, die oft aus einem Mangel an Raum für Kommunikation und Interaktion resultieren. An seiner Schule, der Eichendorffschule, unterstützt ein Team von Sozialpädagogen die Schüler bei der Lösung dieser Konflikte. Er zieht eine klare Linie: Die Erziehung kann nicht nur in vier Stunden am Vormittag erfolgen, wenn der reguläre Unterricht stattfindet. „Wie will man Kinder von acht bis zwölf Uhr erziehen?“ fragt er. Das seine Aussage auf die Art der Erziehung an klassischen Halbtagsschulen abzielt. Dort sei der Fokus häufig lediglich auf akademischen Inhalten und nicht auf der ganzheitlichen Entwicklung der Schüler.

Die Problematik des Halbtagsschulsystems

Klemm kritisiert, dass an Halbtagsschulen der Blick auf die Schülerinnen und Schüler nicht ganzheitlich sei. Vielmehr werden sie oft als Objekte und nicht als Individuen mit eigenen Sorgen wahrgenommen. „An Halbtagsschulen ist der Blick auf die Schüler ein anderer“, hebt Klemm hervor. Diese Konzentration auf Lehrstoff und akademische Ergebnisse gehe auf Kosten der sozialen Kompetenzen und des Miteinanders, kritisiert er weiter. „Schule in der schlimmsten Form“ ist der Ausdruck, den Klemm für diese Art des Unterrichts wählt, und er ist überzeugt, dass es so keine Zukunft für das Bildungssystem geben kann.

Im Vergleich zu seiner „voll gebundenen Ganztagsschule“, in der Schüler an mindestens drei Tagen in der Woche für mindestens sieben Stunden an Schulangeboten teilnehmen, sei das Konzept der offenen Ganztagsschule nur eine oberflächliche Lösung. Das durchgängige Lernen über den Tag hinweg biete die Möglichkeit, nicht nur Wissen zu vermitteln, sondern auch Lebenskompetenzen zu entwickeln.

Klemms Äußerungen finden ihren Hintergrund in einer Umfrage der Robert Bosch Stiftung, die zeigt, dass 47 Prozent der Lehrkräfte in Deutschland in ihren Schulen Gewalt erleben, sei es in Form von Mobbing oder körperlicher Auseinandersetzung. Diese Gewalterfahrungen entstehen nicht zuletzt aus einem Schulklima, in dem Konflikte nicht adäquat adressiert werden können und die persönliche Entwicklung der Kinder in den Hintergrund gedrängt wird.

Ein Plädoyer für eine neue Schulstruktur

Im Kontext der Ganztagsbildung fordert Klemm ein Umdenken: „Wir brauchen Ganztagsbildung, nicht Ganztagsbetreuung.“ Dabei geht es ihm nicht nur um die Verlängerung der Schulzeit, sondern um ein integrierendes Konzept, das Lernen und soziale Interaktion vereint. Er sieht Ganztagsschulen als Orte des Miteinander-Lernens und Miteinander-Lebens, wo das Lernen nicht durch zeitraubende Hausaufgaben am Nachmittag belastet wird.

Seiner Meinung nach ist eine grundlegende Umstrukturierung der Ganztagsschulen notwendig. Er vergleicht die Situationen in Deutschland mit anderen Ländern, wo die Integration von Freizeitaktivitäten in den Bildungskontext bereits selbstverständlich ist. In Kanada beispielsweise sei die Idee einer Ganztagsschule so normal, dass es dafür nicht einmal ein eigenes Wort gibt.

Klemm zeigt sich optimistisch hinsichtlich der Kooperationen, die Ganztagsschulen eingehen können, etwa mit lokalen Vereinen oder Handwerksbetrieben. Diese Zusammenarbeit könnte nicht nur das Angebot an Aktivitäten erweitern, sondern auch zur Lösung des Lehrkräftemangels beitragen. „Schule wird nicht nur von Lehrern gemacht“, sagt er und stellt damit die wertvolle Rolle der Gemeinschaft in den Vordergrund.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Ansatz von Helmut Klemm für Ganztagsschulen nicht nur ein methodisches Umdenken erfordert, sondern auch eine gesellschaftliche Bereitschaft, junge Menschen als ganze Persönlichkeiten zu betrachten, die in einem unterstützenden Umfeld gedeihen können. Seine Beobachtungen zeigen, dass die bisherigen Systeme hinterfragt und optimiert werden müssen, um den aktuellen und zukünftigen Anforderungen einer modernen Bildungslandschaft gerecht zu werden.

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