Die Nadelburg in Lichtenwörth ist nicht nur ein architektonisches Denkmal, sondern auch ein wichtiger Bestandteil der lokalen Industriegeschichte. Die Verbindung von Nadelproduktion und historischer Stätte bietet eine faszinierende Perspektive auf die Entwicklung der Region während der Zeit Maria Theresias.
Der historische Rundgang als Bildungsangebot
Franz Ofner-Winkler, ein ortsansässiger Historiker und pensionierter Chemiker, führt regelmäßig Gruppen durch diese faszinierende Landschaft der industriellen Vergangenheit. „Wir betreten die Wiege der Industriellen Revolution“, sagt er, während die Besucher durch das eindrucksvolle Adlertor schreiten. Seine Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge anschaulich und unterhaltsam zu erklären, zieht jedes Jahr zahlreiche Interessierte an.
Die Nadelburg als kulturelles Erbe
Ein zentraler Punkt des Rundgangs ist die Theresienkirche, die von Nikolaus von Pacassi im Auftrag von Maria Theresia entworfen wurde. Die Kirche wurde so gestaltet, dass sie sowohl für Katholiken als auch für Protestanten akzeptabel ist. Diese inklusive Herangehensweise spiegelt die Versuche wider, Religionskonflikte in einer zunehmend sich wandelnden Gesellschaft zu entschärfen.
Wirtschaftlicher Bedarf und Ingenieurkunst
Im 18. Jahrhundert war die Nachfrage nach Nadeln in der Habsburger-Monarchie hoch, jedoch bemängelten viele, dass die Produktion vor allem in Deutschland stattfand. Maria Theresia übernahm eine in Lichtenwörth geplante Fabrik, die mit den besten Absichten gegründet worden war, aber zunächst auf störende Herausforderungen stieß. „Niemand wusste, wie man Nadeln herstellt“, erklärt Ofner-Winkler. Daher wurden Arbeiter aus Deutschland angeworben, was zusätzliche kulturelle Herausforderungen mit sich brachte.
Feinheiten der Architektur und des Lebens
Die Nadelburg ist auch bekannt für ihre bemerkenswerte Architektur. Pacassi überwand Bedenken gegenüber den protestantischen Arbeitern, indem er eine Kirche auf dem Fabrikgelände schuf, in der sie zu Katholiken „umerzogen“ werden sollten. Die Galerie zwischen der prunkvollen und der schlichteren Kuppel in der Kirche verdeutlicht Pacassis geschicktes architektonisches Können.
Alltagsleben und sozialer Fortschritt
Die Arbeitersiedlungen, die zwischen 1752 und 1756 errichtet wurden, sind ein weiteres Beispiel für den sozialen Fortschritt dieser Zeit. Die Unterkünfte waren für damalige Verhältnisse großzügig, was die Absicht von Maria Theresia zeigt, den Arbeitern eine stabile Lebensbasis zu bieten. Ein weiteres interessantes Detail ist der erste Traiteur, Friedrich Rüel, dessen Nachfahren bis heute in der Gastronomie der Region aktiv sind.
Beliebtheit der Führungen
Die Führungen durch die Nadelburg sind nach wie vor sehr gefragt. Im vergangenen Jahr besuchten über 850 Menschen die Stätte. Ofner-Winkler betont, dass die Führungen auf Voranmeldung flexibel gestaltet werden können, was das Interesse der Bevölkerung an der Geschichte und Kultur ihrer Region widerspiegelt.
Insgesamt bietet die Nadelburg nicht nur einen Einblick in die industrielle Vergangenheit, sondern auch in die sozialen und kulturellen Herausforderungen einer sich verändernden Gesellschaft. Besuchern wird nicht nur die Geschichte der Nadeln nahegebracht, sondern auch die Kenntnisse und Geschichten von Menschen, die zur Entwicklung der Region beigetragen haben.
– NAG