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Kegeln in Wernigerode: Ein letzter Abschied von Tradition und Gemeinschaft

Nach 120 Jahren Tradition verabschiedet sich der Kegelverein „Rot-Weiß Wernigerode“ am letzten Abend in der ehemaligen Arbeiterkantine von seinem geliebten Sport, da die Mitgliederzahlen stetig sinken und die finanzielle Unterstützung durch die Stadt endet, was die Schicksalswende für das kegeln im Harz bedeutet.

Im Herzen von Wernigerode, einem der traditionsreichsten Standorte des Kegelsports in Deutschland, ist ein tiefgreifender Wandel zu beklagen. Seit über einem Jahrhundert sind die Kegelbahnen in der ehemaligen Arbeiterkantine ein Ort der Gemeinschaft und des Sports. Doch nun neigt sich diese Ära dem Ende zu.

Traditionelles Kegeln gibt es bald nicht mehr

Am Abend des Abschieds versammelten sich 45 Mitglieder des Kegelvereins „Rot-Weiß Wernigerode“ in der nostalgisch bewahrten Atmosphäre der alten Halle, um ein letztes Mal ihren geliebten Sport zu würdigen. Die letzten Kegelrollen wurden von den Mitgliedern, die seit Jahrzehnten zusammenkommen, ausgeführt. Für viele von ihnen, die im Alter zwischen 25 und 87 Jahren variieren, war das Kegeln nicht nur ein Hobby, sondern ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens. Ein Kegler bemerkte emotional: „Das tut so dolle weh, wenn ich nicht weiß, was mit unserer Tradition passiert.“

Der Rückgang der Mitgliederzahl

Die Zeichen der Zeit sind unübersehbar: Vor 20 Jahren zählte Wernigerode noch über 100 aktive Kegler, doch die Anzahl hat sich auf unter 50 verringert. Dies spiegelt einen bundesweiten Trend wider, bei dem die Mitgliederzahlen im Kegelsport von über 200.000 auf lediglich 62.000 gesunken sind. Insbesondere in Betreuungsverhältnissen, wie im Wernigeröder Verein, ist ein besorgniserregender Rückgang zu beobachten, da monatlich mindestens ein Mitglied ausscheidet.

Finanzielle Herausforderungen als Ursache

Die finanziellen Rahmenbedingungen haben maßgeblich zum Niedergang beigetragen. Obwohl die Stadt Wernigerode seit 2002 die Miete von 800 Euro für die Kegelbahn übernommen hat, endete diese Unterstützung nun, als der Hauptvertrag zur Nutzung auslief. Die Vereinsmitglieder fühlten sich dadurch aufgefordert, die „Reißleine“ zu ziehen, da die Verantwortung für die Miete nicht mehr tragbar war. Ralf Savelsberg, der Metzger und engagierte Vereinsmitglied, drückte diesen Kampf ums Überleben klar aus: „Wir waren quasi raus, und der Verein muss sich selbst kümmern.“

Wernigerode als Hochburg des Kegelsports

Die Wurzeln des Kegelsports in Wernigerode reichen bis ins Mittelalter zurück, wo er zunächst als Glücksspiel galt. Die Blütezeit erlebte der Sport Anfang des 20. Jahrhunderts, als sich fünf Klubs mit 33 Mitgliedern zusammenschlossen und eine moderne Kegelanlage errichteten. Bei der 18. Deutschen Bundeskegel-Meisterschaft in Frankfurt 1933 stellten die Harzer eine bedeutende Präsenz dar, die bis zum heutigen Tag in der Erinnerung der Mitglieder wach bleibt.

Die Emotionen der Mitglieder

Die Atmosphäre im Kegelclub an diesem Abend war von Melancholie geprägt. Ältere Mitglieder, wie die 80-jährige Elke Strangefeld, äußerten ihre Trauer über das bevorstehenden Ende der Tradition. „Für mich als Seniorin ist Kegeln ein Lebenselixier. Ich kann das nicht glauben, dass man uns das antut.“

Ein Lichtblick: Der Nachwuchs

Der Verein hat jedoch nicht nur ältere Mitglieder, sondern auch Talente wie die 25-jährige Nathalie Niederberger, die seit ihrem neunten Lebensjahr aktiv ist. Sie hat bereits mehrere Erfolge im Kegelsport gefeiert und ist stolz darauf, in das „Goldene Buch“ der Stadt eingetragen worden zu sein.

Der Abschied des Kegelvereins „Rot-Weiß Wernigerode“ ist nicht nur das Ende einer sportlichen Ära, sondern auch ein Verlust für die Gemeinschaft. Diese Tradition, tief verwurzelt in der Stadt, verdeutlicht die Herausforderungen, denen viele lokale Sportvereine in der heutigen Zeit gegenüberstehen. Die Frage bleibt, wie die Stadt mit diesem kulturellen Erbe umgehen wird und ob es Möglichkeiten gibt, den Kegelsport für zukünftige Generationen zu erhalten und zu fördern.

NAG

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