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Leipzig: Bundesgerichtshof entscheidet über Beihilfe zum NS-Massenmord

Der Bundesgerichtshof in Leipzig verhandelt über die Revision der 99-jährigen Irmgard F., einer ehemaligen KZ-Sekretärin des Vernichtungslagers Stutthof, die wegen Beihilfe zum Mord in über 10.000 Fällen verurteilt wurde, und stellt dabei grundlegende Fragen zur Schuld und Verantwortung jener, die das NS-System unterstützten.

Leipzig (dpa) – Die Frage nach der individuellen Verantwortung für die Gräueltaten des Nationalsozialismus beschäftigt die Gesellschaft nach wie vor. Aktuell wird in einem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof in Leipzig diskutiert, inwiefern eine KZ-Sekretärin Beihilfe zum Mord geleistet hat. Das Urteil zu diesem Fall, der als einer der letzten großen Prozesse zur NS-Vergangenheit gilt, wird am 20. August erwartet.

Der Fall der KZ-Sekretärin Irmgard F.

Irmgard F., die mittlerweile 99 Jahre alte ehemalige Sekretärin des KZ Stutthof, ist in den Fokus der Justiz geraten. Das Landgericht Itzehoe hatte sie im Dezember 2022 wegen Beihilfe zum Mord in über 10.500 Fällen sowie wegen Beihilfe zum versuchten Mord in fünf Fällen verurteilt. Die sollte ihr eine Jugendstrafe von zwei Jahren auf Bewährung einbringen. Die nun verhandelte Revision könnte weitreichende Konsequenzen für die Einschätzung des Handelns von Personen in vergleichbaren Positionen in den Konzentrationslagern haben.

Rechtsfragen und die Verteidigungsstrategie

Die Verteidigung von Irmgard F. sieht grundlegende rechtliche Fragen unzureichend geklärt. Ihre Anwälte hinterfragen, ob ihre Tätigkeit als Sekretärin eine relevante Verbindung zu den Verbrechen im Lager darstellt. Sie argumentieren, dass Irmgard F. durch ihre Arbeit nicht aktiv zur Durchführung der Gräueltaten beigetragen habe, sondern lediglich „neutrale Handlungen“ vollzogen hat, die sich nicht von ihrer vorherigen Banktätigkeit unterschieden.

Die Verteidigung stellt die Frage, ob es tatsächlich nachweisbar ist, dass die Angeklagte über das Geschehen im Lager informiert war. Kollege Wolf Molkentin beschreibt die strengen Hierarchien, die in einem Konzentrationslager herrschten, und erklärt, dass eine „psychische Beihilfe“ kaum gegeben sei, wenn man die Kontextualisierung der Rollen betrachtet.

Die Perspektive der Nebenkläger

Der Generalbundesanwalt hat die Verteidigung kritisiert und fordert die Verwerfung der Revision. Er sieht das Urteil als gerechtfertigt an, weil Irmgard F. durch ihre Tätigkeiten dem Massenmord im KZ Stutthof unmittelbar diente. Nebenkläger, darunter ein 96-Jähriger, haben angemerkt, dass Menschen, die behaupten, sie hätten nur Befehle befolgt, mitschuldig seien. Er wünscht sich von der Angeklagten eine ehrliche Einsicht in ihre Rolle während des Krieges.

Gesellschaftliche Bedeutung des Prozesses

Dieser Prozess und die damit verbundenen Diskussionen sind von großer gesellschaftlicher Relevanz. Sie werfen einen Schatten auf die Art und Weise, wie Verantwortung im Kontext von Gräueltaten und politischen Befehlen gewichtet wird. Der Fall erinnert daran, dass auch in submissiven Positionen Entscheidungen getroffen werden müssen, die weitreichende Auswirkungen auf das Leben anderer Menschen haben können.

Ausblick auf die Entscheidung

Der bevorstehende Entscheid des Bundesgerichtshofs könnte nicht nur über die Schuld oder Unschuld von Irmgard F. befinden, sondern auch darüber, wie zukünftige Fälle aus der NS-Zeit aufgearbeitet und welche Maßstäbe zur Beurteilung von Komplizenschaft und Beihilfe herangezogen werden. Jeder Schritt in diesem Prozess trägt dazu bei, das kollektive Gedächtnis und die Verantwortung für die Vergangenheit aufzuarbeiten.

NAG

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