Wittenberg fördert kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit
Einleitung
Die Wittenberger Stadtkirche spielt eine bemerkenswerte Rolle in der Diskussion um christliche Judenfeindschaft. Die Gemeinde hat sich das Ziel gesetzt, mit einer neuen Ausstellung auf die dunkle Geschichte der Antisemitismus in der christlichen Lehre aufmerksam zu machen und das Bewusstsein für diese Problematik zu schärfen. Durch die Konfrontation mit der antisemitischen Darstellung der „Judensau“ an der Kirchenwand sollen tiefere Diskussionen angestoßen werden.
Die Wanderausstellung und ihr Inhalt
Die Wanderausstellung, die derzeit bis zum 31. August in der Stadtkirche St. Marien gezeigt wird, beleuchtet die christliche Judenfeindschaft anhand von 29 Tafeln, die zentrale Motive des Judenhasses und damit verbundene Verschwörungserzählungen präsentieren. Diese Forschung wird von der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische-Oberlausitz (EKBO) organisiert, und wurde bereits an anderen bekannten Orten in Berlin gezeigt, wie der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche.
Bedeutung der Ausstellung und der „Judensau“
Die Gemeinde möchte mit der Ausstellung eine bewusste Auseinandersetzung mit den Gräueltaten führen, die durch die christliche Kirche während des Mittelalters gegen Juden begangen wurden. Die antisemitische Darstellung der „Judensau“, die einen Rabbiner zeigt, der hinter einer Sau kniet, ist ein starkes Symbol dieser Vergangenheit, das immer wieder zur Diskussion führt. Bereits mehrfach gab es Forderungen, das Relief zu entfernen, doch die Gemeindeleitung hat sich dafür entschieden, es als Mahnmal und Ort der Reflexion zu erhalten.
Eröffnung und Unterstützung durch wichtige Persönlichkeiten
Die Eröffnung der Ausstellung wurde von Felix Klein, dem Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, und Eva Feußner, der Bildungsministerin von Sachsen-Anhalt, begleitet. Auch die Äbtissin des Klosters Stift zum Heiligengrabe, Ilsabe Alpermann, und die frühere Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland, Irmgard Schwaetzer, trugen zur Einführung bei.
Gemeindlicher Ansatz und zukünftige Perspektiven
Der Gemeindekirchenrat hat 2023 einen Ausschuss gegründet, um gemeinsam die „Stätte der Mahnung“ unterhalb des Reliefs weiterzuentwickeln. Es gibt auch kreative Vorschläge von Studenten, das Relief temporär durch Kunst zu verhüllen, was jedoch weiterhin umfassend diskutiert wird. Cornelia Winkelmann, Mitglied des Gemeindekirchenrates, betont jedoch die Wichtigkeit, die Darstellung an ihrem ursprünglichen Platz zu belassen, um Verantwortung zu übernehmen.
Ein Ort der Reflexion und der Mahnung
Die Notwendigkeit, die „Judensau“-Darstellung im Stadtbild zu behalten, wird von vielen Stimmen unterstützt. Die ehemalige Direktorin des Wittenberger Predigerseminars, Hanna Kasparick, sieht darin einen wichtigen Ort, an dem Haltung gegen Antisemitismus gelehrt und gelebt werden kann. Diese Diskussion findet zeitlich passend zum bevorstehenden „Israelsonntag“ statt, einem Tag, der auf die besondere Beziehung zwischen Christen und Juden hinweisen soll.
Die Stadtkirche von Wittenberg, ein zentraler Ort der Reformation sowie ein bedeutendes symbolisches Denkmal der Vergangenheit, ist damit mehr als nur ein historischer Bau – sie wird zum Schauplatz eines wichtigen Dialogs über die Verantwortung der Kirche gegenüber ihrer Geschichte und den gegenwärtigen Herausforderungen des Antisemitismus.
– NAG