Eisenach. In einer Zeit, in der der Dialog über soziale Themen und politische Meinungen intensiver denn je geführt wird, haben sich die Probleme in Thüringen erneut in den Vordergrund geschoben. Die ethnologische Forschung von Juliane Stückrad gewährt uns interessante Einblicke in die aktuelle Stimmungslage und die Herausforderungen, die die Gesellschaft prägen.
Vor zwei Jahrzehnten zog es Stückrad in den Elbe-Elster-Kreis, eine Region, die stark von den Folgen der deutschen Wiedervereinigung betroffen war. Hohe Arbeitslosigkeit, Abwanderung und der Verlust von Lebensqualität zeichneten das Bild einer strukturschwachen Gegend. Dort sammelte sie von den Menschen um sich herum Geschichten über ihren Unmut, die in den sozialen Kämpfen gegen die Hartz-IV-Gesetzgebung Ausdruck fanden. Stückrad stellte fest, dass der Unmut eine Kluft zwischen den Wunschvorstellungen der Menschen und ihrer Lebensrealität offenbart.
Die Rolle von Unmut und Verbitterung
Ein zentrales Ergebnis ihrer Forschung zeigt, dass der Schimpf, der aus der Unzufriedenheit entsteht, auf den ersten Blick entlastend wirkt. „Schimpfen kann kurzfristig helfen,“ erklärt sie, „doch der Schaden zeigt sich oft erst später.“ Stückrad verdeutlicht, dass eine ständige negative Grundhaltung, die aus dieser Form der Kritik entsteht, dazu neigt, sich zu verfestigen. Menschen, die im Unmut gefangen sind, sehen die Welt durch eine pessimistische Brille. Sie erwarten das Schlimmste und bestätigen damit ihr negatives Weltbild, wodurch sich eine Art Teufelskreis bildet.
Ein besonders besorgniserregender Trend, den Stückrad identifiziert, ist die Politik des Populismus, die sowohl von rechtem als auch von linkem Lager ausgeht. Diese Parteien scheinen das Bedürfnis der Menschen nach einer Stimme zu nutzen, um ihre eigenen Machtinteressen zu bedienen. „Die verbitterten Menschen finden in ihnen eine Form der Bestätigung,“ so Stückrad. Aber nicht jeder, der diese populistischen Strömungen unterstützt, ist tatsächlich verbittert. Häufig sind es auch Individuen, die bereitwillig die Verantwortung für ihr eigenes Denken und Handeln abgeben.
Ein Blick in den Wahlprozess
Wahlen gelten oft als Spiegel der gesellschaftlichen Stimmungslage. Stückrad fordert dazu auf, diesen Spiegel bewusst zu betrachten. Jede Stimme, die gegeben wird, stellt eine bewusste Entscheidung dar, in welche Richtung sich die Gesellschaft entwickeln soll. „Wie wollen wir in diesem Spiegel erscheinen? Als unzufriedene, verbitterte Menschen oder als konstruktive Bürger, die an einer demokratischen Zukunft interessiert sind?“ fragt sie. Damit stellt sie eine essenzielle Frage, die die Bürger Thüringens zur Selbstreflexion anregen könnte.
Mit einem Ausblick auf die bevorstehende Veranstaltung im Landestheater Eisenach, bei der Stückrad zusammen mit Kathrin Schmidt auftritt, wird deutlich, dass es nicht nur um das Erkennen der Problemsituation geht, sondern auch um den Mut und die Entschlossenheit, die Zukunft mit Zuversicht zu gestalten. „Ich hoffe für Thüringen auf ein positives Bild im Wahlprozess,” sagt sie, und schaut optimistisch in die Zukunft.
Demokratie und Zuversicht: Ein wichtiger Rückhalt
In einer Zeit, in der wir mit Herausforderungen konfrontiert sind, ist es für Juliane Stückrad unerlässlich, dass die Menschen sich nicht dem Unmut hingeben. Ihr Glaube an eine von Zuversicht geleitete Politik ist stark. „Demokratie ist das bessere Rüstzeug für die Zukunft“, erklärt sie. Es bleibt abzuwarten, ob diese Botschaften in der Bevölkerung ankommen und wie sie den bevorstehenden politischen Diskurs beeinflussen werden. Doch das Engagement von Menschen wie Juliane Stückrad ist ein wichtiger Schritt in Richtung einer konstruktiven und aufmerksamen Gesellschaft, die dem Populismus die Stirn bieten kann, indem sie ihre eigene Stimme erhebt und aktiv an der politischen Gestaltung teilnimmt.
Thüringen im Kontext der politischen Landschaft Deutschlands
Thüringen hat als Bundesland eine besondere Stellung in der politischen Landschaft Deutschlands. Es ist seit der Wiedervereinigung von einem tiefgreifenden wirtschaftlichen und sozialen Wandel geprägt. Die Transformation von einer sozialistischen Planwirtschaft in eine Marktwirtschaft hat viele Herausforderungen mit sich gebracht, darunter hohe Arbeitslosigkeit und Abwanderung von Fachkräften. Laut einem Bericht des Thüringer Landesamts für Statistik lag die Arbeitslosenquote im Jahr 2022 bei rund 6,8 %. Dies ist zwar ein Rückgang im Vergleich zu den Vorjahren, bleibt jedoch über dem Bundesdurchschnitt.
Dieser wirtschaftliche Druck hat in den vergangenen Jahren zur Stärkung populistischer Bewegungen beigetragen. Insbesondere die AfD hat in Thüringen bei Wahlen signifikante Unterstützung erhalten und konnte in den letzten Kommunalwahlen im Jahr 2019 rund 24,6 % der Stimmen auf sich vereinen. Die Gründe dafür sind vielfältig, von der Unzufriedenheit mit etablierten Parteien bis hin zur zunehmenden Angst vor sozialen und kulturellen Veränderungen.
Soziale und wirtschaftliche Herausforderungen im Post-Wende-Thüringen
Die sozioökonomischen Herausforderungen, mit denen Thüringen konfrontiert ist, sind tief verwurzelt in der Geschichte der Region. Die sogenannten „Ost-West-Disparitäten“ haben immer wieder die öffentliche Debatte geprägt. Trotz erheblicher Investitionen in die Infrastruktur und die Wiederbelebung der lokalen Wirtschaft bleibt die Abwanderung junger Menschen aus ländlichen Regionen eine große Herausforderung. Diese Abwanderung sowie die alternde Bevölkerung stellen soziale Systeme und lokale Gemeinschaften vor beträchtliche Probleme.
Ein Beispiel für die Reaktionen der Bevölkerung auf diese Missstände sind verschiedene Bürgerbewegungen, die Positives bewirken wollen. Initiativen zur Förderung von Arbeitsplätzen, zur Bildung und zur sozialen Inklusion sind essenziell, um die Herausforderungen anzugehen und den negativen Kreislauf zu durchbrechen.
Demografische Entwicklungen und ihre Auswirkungen
Die demografische Entwicklung in Thüringen zeigt, dass nicht nur die Abwanderung junger Menschen zum Problem wird, sondern auch die Alterung der Gesellschaft. Laut dem Statistischen Bundesamt ist der Anteil der über 65-Jährigen in Thüringen zwischen 2000 und 2020 von 18 % auf etwa 25 % gestiegen. Diese statistische Entwicklung hat weitreichende Konsequenzen, beispielsweise für den Arbeitsmarkt, das Gesundheitswesen und die soziale Sicherheit.
Infolge dieser demografischen Trends gibt es einen zunehmenden Bedarf an Fachkräften im Gesundheitssektor sowie in der Altenpflege. Hier sind bereits Maßnahmen seitens der Landes- und Bundesregierung ergriffen worden, um dieser Herausforderung zu begegnen, wie etwa durch Anreize für Auszubildende und Fachkräfte aus dem Ausland.
Bedeutung von Bildung und Teilhabe
Bildung spielt eine entscheidende Rolle für die Zukunft Thüringens. Bildungssysteme, die nicht nur die schulische Ausbildung, sondern auch berufliche Weiterbildung in den Fokus rücken, sind notwendig, um den sich ändernden Anforderungen des Arbeitsmarktes gerecht zu werden. Viele Thüringer Kommunen haben bereits Programme zur frühzeitigen Förderung von Kindern und deren Bildungschancen eingeführt.
Die Förderung der politischen Teilhabe ist ebenso von Bedeutung. Initiativen, die junge Menschen aktiv in politische Prozesse einbinden, könnten dazu beitragen, das Vertrauen in demokratische Strukturen zu stärken und der anhaltenden Verbitterung entgegenzuwirken. Die Zivilgesellschaft hat hier eine Schlüsselposition inne, indem sie den Dialog zwischen Bürgern und Entscheidungsträgern fördert.