Karin Hofer / NZZ
Die Schweiz, ein Land mit ingenieurtechnischen Meisterwerken, steht an einem Wendepunkt, an dem der Fokus zunehmend auf den Untergrund gerichtet wird. Statt den begrenzten Raum über der Erde weiter auszubauen, liegt die Herausforderung darin, ungenutzte Kapazitäten unter der Oberfläche zu erschließen. Diese Entwicklung könnte nachhaltig Auswirkungen auf die Lebensqualität der Bürger und die städtische Infrastruktur haben.
Das Ungenutzte unter der Erde
Die Vorstellung, dass die Zukunft der Schweiz ‚im Untergrund‘ liegt, könnte provocativ erscheinen. Dennoch verdeutlicht das 2022 verabschiedete Strategiepapier der Eidgenössischen Geologischen Fachkommission, dass der ungenutzte Raum unter den Füßen der Schweizer Bürger im wahrsten Sinne des Wortes ein Rohdiamant ist. Durch das Graben nach neuen Möglichkeiten könnten Lösungen für einige der drängendsten Probleme des Landes entwickelt werden.
Die Herausforderung der Planung
Trotz der Begeisterung für die Erschließung des Untergrunds, sind einige Herausforderungen zu überwinden. Der Ständerat hat in seiner letzten Sitzung eine Debatte über die Notwendigkeit einer nationalen Katasterstelle für die unterirdische Nutzung erlebt. Die Kontrolle über den Untergrund liegt bei den einzelnen Kantonen, die oft unterschiedliche Daten erheben und verwalten. Diese Fragmentierung verhindert eine einheitliche Strategie, was die effiziente Nutzung des Untergrundraums deutlich erschwert.
Innovationen im Tunnelbau
Eine der relevantesten Entwicklungen der letzten Jahre ist die Nutzung des Versuchsstollens in Flums, der als Laboratorium für Tunnelbau dient. Über die letzten fünf Jahrzehnte wurden hier neue Bautechniken und Materialien getestet, die für eine Vielzahl von Projekten in der Schweiz verwendet werden. Dies zeigt, dass nicht nur ein Platz zum Graben benötigt wird, sondern auch eine sinnvolle Methodik, um diese Innovation voranzutreiben und sicherzustellen, dass sie in praktische Anwendungen umgesetzt werden.
Städtische Transformation: Vom Autobahntunnel zur Fahrradinfrastruktur
Ein Beispiel für die kreative Umnutzung bestehender unterirdischer Strukturen ist der Stadttunnel in Zürich. Nachdem er jahrzehntelang brach lag, wird er nun für die Radfahrer umgewidmet. Dieser neue Ansatz, den Raum zu nutzen, zeigt, wie altgediente Bauwerke neuen Zwecken zugeführt werden können, während gleichzeitig die Verkehrsinfrastruktur modernisiert wird.
Ein Blick in die Zukunft
Die Nutzung des Untergrunds könnte über bloße Baumaßnahmen hinausgehen. In Anbetracht der Klimaerwärmung und der ansteigenden Temperaturen könnte es künftig notwendig werden, Lebens- und Arbeitsräume unter der Erde zu schaffen, wo die Temperaturen stabiler sind. So könnte unterirdisches Wohnen nicht nur eine Antwort auf die dicht besiedelten urbanen Räume sein, sondern auch eine innovative Lösung im Angesicht der klimatischen Herausforderungen.
Fazit: Der unterirdische Schatz
Die Errichtung und Erschließung von unterirdischen Strukturen in der Schweiz ist nicht nur eine architektonische Angelegenheit, sondern auch ein entscheidender Schritt für die zukünftige Lebensqualität sowie die effiziente Ressourcennutzung. Es liegt eine große Verantwortung darin, diesen ungenutzten Raum sinnvoll zu planen und nachhaltig zu bewirtschaften. Indem man sich auf den Untergrund konzentriert, könnten die Schweizer nicht nur einen innovativen Ansatz für städtische Entwicklung finden, sondern auch die Herausforderungen des überfüllten Lebensraums bewältigen.