Ein Schulleiter aus Bayern hat sich zu Wort gemeldet und wirft ein Schlaglicht auf die Herausforderungen und Probleme, mit denen viele Schulen in Deutschland konfrontiert sind. Helmut Klemm, der die Eichendorffschule in Erlangen leitet, spricht über die drastischen Unterschiede zwischen Halbtagsschulen und Ganztagsschulen und äußert sich kritisch über die traditionelle Schulform, die von 8 bis 12 Uhr dauert. Laut Klemm leidet die Erziehung in solchen Schulen unter einem veralteten System.
„Wie kann man Kinder von acht bis zwölf Uhr erziehen?“, fragt Klemm provokant und kritisiert, dass an Halbtagsschulen die ernsthafte Auseinandersetzung mit den Schülern oft zu kurz kommt. „Das ist klassische Konditionierung“, führt er weiter aus. Bei diesen Schulen werde der Fokus mehr auf die Lehre und weniger auf die einzelnen Bedürfnisse der Kinder gelegt. Ein rascher Ablauf von einer Stunde zur nächsten ohne Zeit für Gespräche oder Freizeitaktivitäten führt seiner Meinung nach dazu, dass Kinder lediglich als Objekte gesehen werden, die es zu „bearbeiten“ gilt.
Die Realität an den Halbtagsschulen
Die Ergebnisse einer Umfrage der Robert Bosch Stiftung sind alarmierend: Fast die Hälfte der Lehrkräfte berichtet, an ihrer Schule mit Gewalt, Mobbing und anderen Konflikten konfrontiert zu sein. Klemm hat deshalb an der Eichendorffschule spezielle Sozialarbeiter eingesetzt, um den Schülern mehr Unterstützung bei der Konfliktbewältigung zu bieten. „An einer Ganztagsschule ist mehr Zeit, diese Konflikte zu lösen“, sagt er und erklärt, dass der Umgang mit Konflikten an einer Halbtagsschule oftmals nicht im gleichen Umfang bewerkstelligt werden kann.
Klemm hebt hervor, dass eine Ganztagsschule nicht nur eine Betreuung darstellt, sondern vielmehr als Plattform für gemeinsames Lernen und persönliches Wachstum fungieren sollte. Seiner Meinung nach sollte die Zeiteinteilung überdacht und neu gestaltet werden. „Wir müssen Ganztagsbildung anbieten, nicht nur Ganztagsbetreuung“, stellt er klar und betont, dass eine echte Bildungsgerechtigkeit nur erreicht werden kann, wenn Schüler über den ganzen Tag hinweg gefordert und gefördert werden.
Zahlen und Fakten zu Ganztagsschulen
Im aktuellen Schuljahr haben 71 Prozent der Schulen in Deutschland ein Ganztagsangebot. Allerdings handelt es sich meist um „offene Ganztagsschulen“, bei denen die Schüler freiwillig an den Angeboten teilnehmen. Klemm zeigt sich skeptisch gegenüber dieser Schulform und betont, dass eine „voll gebundene Ganztagsschule“ die Grundvoraussetzungen für gerechtere Bildungsangebote schaffen kann.
In Bayern sind derartige Einrichtungen rar: Nur 1,3 Prozent der öffentlichen Realschulen entsprechen den Anforderungen einer voll gebundenen Ganztagsschule, was den Bedarf und die Notwendigkeit solcher Schulen umso drängender macht. Für Klemm ist es entscheidend, dass mehr Ganztagsschulen eingerichtet werden, die dem tatsächlichen Bedarf gerecht werden. „Offene Ganztagsschulen gleichen Bildungsungerechtigkeiten nicht aus“, führt er deutlich aus.
Um die Bildungslandschaft zu verbessern, plädiert Klemm für innovative Konzepte, die Schulalltag und nachmittägliche Aktivitäten nahtlos miteinander verbinden. „Schule wird nicht nur von Lehrern gemacht“, unterstreicht er, und hebt hervor, wie wichtig die Kooperation mit externen Partnern ist. Sei es ein Musikverein oder handwerkliche Kurse, solche Kooperationen könnten wertvollen Raum für praktische Erfahrungen bieten und den Schulalltag bereichern.
Die notwenige Transformation hin zu mehr Ganztagsbildung wird als entscheidend angesehen, um nicht nur die gelebte Realität der Kinder zu verbessern, sondern auch um ihnen im Rahmen eines breiten Wissensangebots ein erfüllteres und gerechteres Lernen zu ermöglichen. Klemm vertritt die Überzeugung, dass eine ganzheitliche Sicht auf die Schüler und die Schaffung gerechterer Bildungsangebote die Schule der Zukunft prägen müssen.