Inmitten des lebhaften Geschehens auf dem Betriebsgelände Graupsäge im Nationalpark Bayerischer Wald sind derzeit unzählige Helfer beschäftigt. Mit Akkubohrern und anderen Werkzeugen arbeiten Praktikanten Hand in Hand, um Baumstämme auf eine ganz besondere Weise vorzubereiten: Sie impfen diese mit seltenen Pilzarten. Dies geschieht im Rahmen eines einzigartigen Projekts, das in Mittel- und Westeuropa so bislang noch nicht durchgeführt wurde. Unter fachkundiger Leitung sollen zehn bedrohte Pilzarten wieder in ihre natürliche Umgebung zurückgebracht werden.
Das Artenhilfsprogramm, das vom Nationalpark Bayerischer Wald in Zusammenarbeit mit der Universität Bayreuth und unterstützt von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) ins Leben gerufen wurde, erhält eine finanzielle Unterstützung von 351.250 Euro bis Anfang 2027. Alexander Bonde, der Generalsekretär der DBU, beschreibt dieses Vorhaben als bahnbrechend: „Zusammen betreten wir hier echtes Neuland, denn erstmals probieren wir gezielte Artenschutzmaßnahmen für seltene Pilzarten in der Praxis aus.” Aufgrund der bedeutenden Rolle von Pilzen in Waldökosystemen ist das Projekt besonders wertvoll, da es bislang wenig bis keine Erfahrungswerte für solch spezielle Maßnahmen gibt.
Einmalige Herausforderung für Wissenschaftler
Die Durchführung der Maßnahmen obliegt im Wesentlichen dem Mykologen Peter Karasch. Er vergleicht die Wichtigkeit des Projekts mit der Neuauswilderung von Bartgeiern im Nationalpark Berchtesgaden. Es ist bemerkenswert, dass die Pilze, im Gegensatz zu den großes Vögeln, nicht direkt im Wald ausgesetzt werden können. Daher findet zunächst eine Kultivierung der Pilze in Laborumgebungen statt. Dr. Franziska Zahn, die das Projekt an der Universität Bayreuth leitet, erklärt, dass diese erste Phase essenziell sei. „Derzeit kultivieren wir die Arten auf speziellen Nährböden, um ihre Überlebensfähigkeit im Wald zu gewährleisten,” meint sie.
Das Ziel ist es, genug Pilzmyzel zu erzeugen, das dann auf Holzdübel gesetzt wird, wie man sie oft beim Möbelaufbau findet. Diese Dübel werden anschließend in Wirtsbäume wie Fichte, Buche und Tanne eingesetzt. Über 400 solcher geimpften Baumstämme werden im Rahmen des Projekts sorgfältig verteilt. Die Hoffnung ist, dass mit der Zeit sichtbare Fruchtkörper entstehen werden, die den Erfolg des Programms verdeutlichen.
Obwohl die direkten Ergebnisse möglicherweise bis zu zwei Jahre auf sich warten lassen, können die Projektverantwortlichen kaum den Moment abwarten, in dem die ersten Fruchtkörper gesichtet werden. Der Nationalparkmitarbeiter Peter Karasch zeigt sich optimistisch: „Ich bin mir sicher, dass wir bald erste Erfolge sehen werden.“ Um die Entwicklung der Pilze zu beobachten, werden die 20 Projektstandorte in den kommenden Jahren regelmäßig überwacht. Hierbei ist die Wizur von Dr. Zahn, die auch die Herausforderungen betont: „Bei den seltenen Pilzarten gibt es bisher kaum vergleichbare Werte, die wir zur Orientierung heranziehen können.”
Ein starkes Netzwerk für den Naturschutz
Das Vorhaben wurde auch von der Nationalparkleiterin Ursula Schuster gelobt. Sie sieht die Bedeutung eines funktionierenden Netzwerks in der Wissenschaft und Praxis, um das Projekt erfolgreich umsetzen zu können. „Dieses spannende Projekt liefert mittelfristig sicher wertvolle Ergebnisse für den praktischen Naturschutz,” erklärt sie. Schuster dankt den Partnern und allen Beteiligten, die zu diesem innovativen Ansatz beigetragen haben. Ihre Einschätzung ist klar: „Ohne diese starken Kooperationspartner könnten wir solch ambitionierte Ziele nicht erreichen.”
Die Maßnahmen im Nationalpark Bayerischer Wald sind Teil eines größeren Engagements für den Erhalt der Biodiversität. Indem man gezielt bedrohte Pilzarten ansiedelt und das Ökosystem stärkt, wird ein wichtiger Beitrag für die Natur geleistet. Dies könnte der Anfang einer Reihe ähnlicher Projekte sein, die sich dem Schutz seltener Arten widmen und neue Wege in der Naturschutzarbeit beschreiten.
Das Engagement von Wissenschaft und Naturschutz zeigt, dass jeder Schritt, und sei er noch so klein, eine bedeutende Auswirkung auf unsere Umwelt haben kann.
Die Rolle von Pilzen im Ökosystem
Pilze spielen eine unverzichtbare Rolle in verschiedenen Ökosystemen, vor allem in Wäldern. Sie sind für den Nährstoffkreislauf von entscheidender Bedeutung, da sie organisches Material abbauen und in für Pflanzen verfügbaren Nährstoffen umwandeln. Darüber hinaus dienen Pilze als Symbionten in Mykorrhiza-Beziehungen, die für die Gesundheit von Bäumen und anderen Pflanzen essenziell sind.
Die Forschung hat gezeigt, dass diese Beziehungen das Wachstum und die Widerstandsfähigkeit von Pflanzen gegenüber Krankheiten und Umweltschäden fördern können. Laut Angaben der Deutschen Bundesstiftung Umwelt sind Pilze auch wichtige Indikatoren für die Gesundheit von Wäldern, da ihr Vorkommen und ihre Diversität Rückschlüsse auf die allgemeine Biodiversität in diesen Lebensräumen zulassen.
Beispiele für erfolgreiche Pilzschutzprojekte
In verschiedenen Regionen wurden bereits Initiativen gestartet, um bedrohte Pilzarten zu erhalten. Ein Beispiel ist das Projekt „Pilze der Norddeutschen Niederungen“, das sich auf die Wiederansiedlung von seltenen Pilzarten in Moorgebieten konzentriert. Die Initiatoren berichten über Erfolge bei der Ansiedlung von Arten, die zuvor in bestimmten Gebieten als ausgestorben galten. Solche Projekte belegen die Wirksamkeit gezielter Artenschutzmaßnahmen und liefern wertvolle Erkenntnisse für zukünftige Initiativen.
Zusätzlich dazu wurde das Projekt „Sicherung der Biodiversität von Pilzen in Deutschland“ ins Leben gerufen, das den Fokus auf die Erfassung seltener und gefährdeter Arten legt. Dieses Programm zeigt, wie wichtig es ist, die Lebensräume von Pilzen zu schützen, um deren Vielfalt in der Natur zu bewahren.
Monitoring und Evaluierung
Für den langfristigen Erfolg des aktuellen Projekts im Nationalpark Bayerischer Wald ist ein umfassendes Monitoring und Evaluierungssystem vorgesehen. Die Verantwortlichen planen, regelmäßig zu überprüfen, wie die geimpften Baumstämme sich entwickeln und ob die gewünschten Fruchtkörper erscheinen. Ein derart systematischer Ansatz ist unerlässlich, um die gesammelten Daten für zukünftige Projekte zu nutzen und Erkenntnisse über die optimalen Wachstumsbedingungen für die jeweiligen Pilzarten zu gewinnen. Laut der Universität Bayreuth tragen solche Evaluierungen entscheidend dazu bei, die Strategien für den Artenschutz weiterzubringen und anzupassen.
Diese Methodik kommt nicht nur den Pilzen selbst zugute, sondern erweitert auch das Wissen über das komplexe Zusammenspiel im Ökosystem Wald. Das Monitoring wird zudem dazu beitragen, die Akzeptanz und das Verständnis der breiten Öffentlichkeit für die Bedeutung der Pilze und deren Schutz zu fördern.