Am Maxim Gorki Theater in Berlin wurde die neue Saison mit einem eindrucksvollen und bewegenden Ereignis eingeläutet, das sowohl politische als auch emotionale Aspekte beleuchtet. Filmemacher Cem Kaya, bekannt für seinen eindrucksvollen Dokumentarfilm „Liebe, D-Mark und Tod“, leitete die Veranstaltung mit einem ausführlichen Video-Vortrag über das deutsche Asylrecht und dessen Auswirkungen auf die deutsch-türkischen Beziehungen, die sich vom Osmanischen Reich bis in die Gegenwart erstrecken.
Als Eröffnung der Saison trugen riesige, aufblasbare Figuren von Frontex, der europäischen Grenzschutzagentur, dazu bei, eine kritische Perspektive auf die derzeitige Asylpolitik zu werfen. Diese sarkastische Illustrierung der strikten Grenzkontrollen und der damit verbundenen Tragödien wurde begleitet von Kayas anschaulicher und emotionaler Präsentation, die mehr als zwei Stunden in Anspruch nahm. Seine Darbietung, die in einer Mischung aus Video-Ausschnitten, persönlichen Kommentaren und historischen Kontexten aufging, legte einen starken Fokus auf den Fall von Cemal Kemal Altun.
Der Fall Cemal Kemal Altun
Der Fall des mutigen Studenten Cemal Kemal Altun, der in den frühen 1980er Jahren nach Deutschland floh, zeigt die düstere Realität des Asylrechts. Altun, der als politischer Flüchtling anerkannt wurde, sah sich nach einem Militärputsch in der Türkei dem Risiko einer Auslieferung gegenüber. Die dramatischen Umstände, die zu seinem verzweifelten Sprung aus dem Gerichtssaal führten, sind ein schockierendes Beispiel dafür, wie staatliche Behörden und internationale Beziehungen das Leben von Asylsuchenden bestimmen können. Altun starb tragisch, während er vor laufenden Kameras aus dem sechsten Stock des Oberverwaltungsgerichts sprang, angsterfüllt davor, in ein Land zurückgeschickt zu werden, wo ihm Folter und Haft drohten.
Archivbilder aus jenem Gerichtssaal unterstrichen die emotionale Wucht seines Schicksals. Als Zuschauer wird man mit der naiven Hoffnung konfrontiert, dass rechtliche Systeme das Leben der Menschen schützen sollten, doch hier scheiterte das System kläglich. Der Pfarrer Jürgen Quandt äußerte nach Altuns Tod öffentlich seine Scham über die politischen Umstände und die Verantwortung einer Partei, die sich christlichen Werten rühmt.
Ein facettenreicher Abend
Kaya versuchte in seinem Vortrag, weitreichendere Themen zu beleuchten, einschließlich der Geschichte der Gastarbeiter in Deutschland und der politischen Verhältnisse in der Türkei über mehrere Jahrzehnte. Dies führte jedoch zur Überforderung des Publikums. Indem er versuchte, die komplexen Verflechtungen zwischen Migrationsbewegungen, der deutschen Asylpolitik und der Popkultur in der Türkei darzustellen, ging die Fokussierung auf das zentrale Thema verloren. Der Versuch, alles zu verknüpfen, könnte gut gemeint gewesen sein, führte jedoch dazu, dass die Botschaft in einem Übermaß an Informationen unterging.
Der Abend enthielt zahlreiche interessante Einblicke, etwa die Einführung des Turbokapitalismus in der Türkei durch Präsident Turgut Özal, der dazu führte, dass viele Menschen einen Teil ihrer Identität in amerikanischen Serien wie „Dallas“ und „Denver Clan“ fanden. Solche kulturellen Referenzen machen deutlich, wie unterschiedlich die Realität in der Türkei war und sind im Vergleich zur deutschen Wahrnehmung von Asyl und Migrationsgeschichte.
Dennoch bleibt der harter Kern der Präsentation eine scharfe Kritik am deutschen Asylrecht. Kaya stellte eindringlich dar, wie die Politik oft über Menschenrechtsstandards hinweggeht, um politische Beziehungen aufrechtzuerhalten. Diese Verbindung wird besonders deutlich, wenn er auf die Zitate prominenter deutscher Politiker zurückgreift – von Helmut Kohl bis Walter Steinmeier – und deren Prioritäten in Bezug auf die Sicherheit und das Wohl von Migranten hinterfragt.
Insgesamt zeigt die Veranstaltung am Gorki Theater nicht nur die historischen Wunden auf, die die Asylpolitik in Deutschland hinterlassen hat, sondern provoziert auch Diskussionen über die derzeitige Rolle der Politik im Umgang mit Flüchtlingen und Asylsuchenden. Das Publikum, das größtenteils aus Menschen bestand, die bereits ein ähnliches Meinungsspektrum teilten, verließ die Aufführung mit vielen Fragen und dem dringenden Bedürfnis nach einem tiefergehenden politischen Diskurs, der das Thema Migration und Asylrecht nicht länger ignoriert.
Dieser Abend war nicht nur ein kulturelles Ereignis, sondern ein eindringlicher Aufruf, sich intensiver mit der Realität des Asylrechts und den Konsequenzen auseinanderzusetzen, die es für die Menschen hat, die es beanspruchen. Kaya gelingt es, in seiner Präsentation den Zuschauer emotional abzuholen, auch wenn der Mix aus Inhalten und Formulierungen manchmal überfordernd wirkt.