Am 31. August 2024 erlebte die Berliner Philharmonie ein außergewöhnliches Konzert, das die kulturellen und historischen Wurzeln musischer Traditionen tiefgehender betrachtete. Jordi Savall, ein herausragender katalanischer Gambist, der gerade seinen 83. Geburtstag gefeiert hatte, präsentierte sein Konzert „Un mar de músicas“ zusammen mit der La Capella Reial de Catalunya und seinem Ensemble Hespèrion XXI. Es war eine einmalige Darbietung, die musikalische Tiefe mit emotionaler Ausstrahlung verband und die Zuhörer auf eine Reise durch die Jahrhunderte mitnahm.
Savall, bekannt für seine engagierte Auseinandersetzung mit den musikalischen Traditionen der Welt, trat bei diesem Konzert mit einer kleinen Diskantgambe auf. Die Darbietung verband europäische Barockmusik mit den leidenschaftlichen Gesängen von versklavten Menschen zwischen 1440 und 1880. Ein Moderator, Bless Amada, führte während des Konzerts auf Deutsch durch das Programm, wodurch das Publikum noch stärker in die Geschichte und die Emotionen der Musik eingebunden wurde.
Ein Spannungsfeld zwischen Geschichte und Gegenwart
Das Thema Sklaverei war der zentrale Punkt dieses Konzerts. Jordi Savall erklärte, dass er sich intensiv mit der Rolle der Musik im Kontext des Sklavenhandels beschäftigt habe. Der doppelte Bedeutungsgehalt des Begriffs „Meer“ spielt hier eine wesentliche Rolle: Zum einen war es das Meer, über das die Sklaven zwischen Europa und den Amerikas transportiert wurden; zum anderen war es das Meer der musikalischen Einflüsse, das die Gesänge der versklavten Menschen in das musikalische Leben einfließen ließ. Diese Gesänge, die oft von leidvollen Erfahrungen geprägt waren, boten den Menschen Trost und Hoffnung.
Im Rahmen des Konzertprogramms wurden verschiedene musikalische Stile und kulturelle Einflüsse miteinander verwoben. Savall führte das Publikum von den Ursprüngen der Musik im 16. Jahrhundert bis hin zu Klängen, die afrikanische und lateinamerikanische Traditionen verkörperten. Dabei wurde deutlich, wie stark die Musik der Kolonialzeit und der Sklaven auch die heutige Musiklandschaft prägt. Besonders auffällig war Savalls Entdeckung, dass viele Komponisten des 17. Jahrhunderts traditionelle Melodien und die Sprachen der versklavten und indigenen Bevölkerung in ihren Werken verarbeitet haben.
Ein Höhepunkt des Abends war die Darbietung unter anderem von kreolischen Liedern der Sklaven. Diese Lieder waren nicht nur Ausdruck des Leidens, sondern auch ein Mittel, um die eigene Kultur zu bewahren und weiterzugeben. Die Künstler aus verschiedenen Ländern, darunter Kuba, Mali und Brasilien, leisteten ihren Beitrag zu einer harmonischen und kraftvollen Performance, die es den Zuhörern leicht machte, sich mit der Musik zu identifizieren.
Die Vielfalt der Darbietungen reichte von afrikanischen Rhythmen über die Musik des karibischen Raums bis zu europäischen Klängen des 17. und 18. Jahrhunderts, wie etwa Werke von Jean-Philippe Rameau. Der Einsatz traditioneller Instrumente und die lebhaften Tänze der Künstler sorgten dafür, dass das Publikum mitgerissen wurde und kräftigen Applaus spendete.
Unter den Künstlern, die die Bühne betraten, waren bekannte Namen wie Neema Bickersteth und Sekouba Bambino. Diese Talente brachten mit ihren hochenergetischen Darbietungen die Kultur ihrer Heimatländer zum Leben und hinterließen einen bleibenden Eindruck. Die Farbenpracht der Kostüme und die Emotionalität der Tänze machten das Konzert zu einem visuellen und akustischen Erlebnis.
Jordi Savall fasste die Bedeutung der Musik treffend zusammen, als er betonte: „Ohne Musik wäre die Geschichte eine riesige Wüste!“ Sein Fazit spiegelt die essentielle Rolle der Musik in der menschlichen Geschichte wider. In einer Welt, die oft von Konflikten und Herausforderungen geprägt ist, bleibt die Musik ein Ausdruck von Hoffnung, Gemeinschaft und kulturellem Erbe.
Das Konzert mit Jordi Savall und seinen Mitwirkenden war somit mehr als nur eine musikalische Darbietung; es war eine eindrucksvolle Erinnerung an die Kraft der Musik, Kolonialgeschichte und die humanitären Kämpfe zu reflektieren und gleichzeitig eine Brücke zwischen verschiedenen Kulturen zu schlagen. Die Berliner Philharmonie wurde an diesem Abend zum Schauplatz eines wahrhaft beeindruckenden Kulturerlebnisses.