Vor drei Jahren übernahmen die Taliban in Afghanistan erneut die Macht, was den Lebensalltag vieler Menschen drastisch veränderte. Unter den Betroffenen sind zahlreiche afghanische „Ortskräfte“, die für deutsche Institutionen und Organisationen gearbeitet haben. Diese Menschen, die einst Sicherheit für im Land tätige Ausländer gewährleisteten, sehen sich nun mit einem unsicheren Leben konfrontiert. Einige von ihnen leben mittlerweile in Bremen, während andere, die noch in Afghanistan sind, in ständiger Angst vor Vergeltungsmaßnahmen leben.
Einige der ehemaligen Ortskräfte, die es geschafft haben, sich in Deutschland ein neues Leben aufzubauen, berichten von den Herausforderungen, die sie bewältigen müssen. Mohammad Samir Ghafari, der im Jahr 2021 nach Deutschland kam, lebt heute in Bremen. Er hat sich als Ziel gesetzt, die deutsche Sprache zu lernen und sich beruflich als Bauingenieur zu etablieren. Dennoch trägt er die Sorgen um seine Familie in Afghanistan mit sich, die dort in Gefahr lebt.
Die Situation der Geflüchteten
Das Leben der ehemaligen Ortskräfte ist von ständigen Herausforderungen geprägt. Viele von ihnen haben ihre Angehörigen zurückgelassen und hoffen auf eine Möglichkeit, ihre Familien nach Deutschland zu holen. Najib Paiman, dessen Schwiegermutter in Iran lebt, hat die Hoffnung, seine Familie in Sicherheit zu bringen. Er beschreibt die schwerwiegenden Hürden der deutschen Bürokratie und die hohen Anforderungen an Sicherheitsleistungen, die für die Einreise notwendig sind.
„Es ist fast unmöglich, die finanziellen Anforderungen zu erfüllen“, erklärt Paiman. Die von der deutschen Regierung geforderten finanziellen Sicherheiten sind für viele geflüchtete Afghanen, die oft nur geringfügige Einkommen haben, eine unüberwindbare Hürde. Dies führt zu einer Situation, in der viele Familien getrennt bleiben, während sie gleichzeitig auf Informationen zu ihren Anträgen warten.„Wenn sie das von Anfang an gesagt hätten… Weil man eine Hoffnung hat und dann ist sie weg. Das ist nicht so schön“, sagt Donya Mullah, die ebenfalls um die Zusammenführung mit ihrem Familienmitglied kämpft.
Erst Ende Juli 2023 wurde in Bremen ein Landesaufnahmeprogramm für Angehörige afghanischer Geflüchteter ins Leben gerufen, das jedoch auf viel Kritik stößt. Kritiker berichten von hohen Ablehnungsquoten und mangelnder Transparenz im Prozess. Karen Stroink, Sprecherin des Innenressorts, räumt die Unzufriedenheit ein, verweist jedoch auf die Notwendigkeit von finanziellen Sicherheiten. „Wir können nachvollziehen, dass diese Zahlen frustrierend sind, doch das Programm folgt zwingend gesetzlichen Vorgaben“, so Stroink.
Doch nicht nur die bürokratischen Hürden stehen im Vordergrund, auch die psychischen Belastungen sind enorm. Amena Rahemy, die es geschafft hat, nach Deutschland zu kommen, lebt zwar in relativer Sicherheit, jedoch belastet sie die Trennung von ihrer Familie und das Gefühl, alles verloren zu haben. „Die ersten sechs Monate habe ich Tag und Nacht viel geweint“, beschreibt sie ihre Anfangszeit in Bremen.
Erwartungen und Zukunftsausblick
Die Integrationsmaßnahmen für afghanische Geflüchtete könnten verbessert werden, um diese Menschen bei ihrer Eingliederung in die Gesellschaft zu unterstützen. Viele sind bereit, die deutsche Sprache zu lernen und ihren Lebensunterhalt selbstständig zu bestreiten, stehen jedoch vor personellen und finanziellen Hürden. Ghafari und Rahemy haben sich beide entschieden, aktiv zu werden und sich in ihre neue Heimat einzubringen. Rahemy bietet Online-Unterricht für afghanische Mädchen an, die durch die Taliban keine Bildung mehr erhalten dürfen, und hofft, durch ihre Initiative Zukunftsperspektiven zu eröffnen.
Amena Rahemy betont die Bedeutung von Hoffnung und Perspektiven: „Ich muss handeln, jetzt, um eine Zukunft für meine Schwester zu sichern.“ Sie unterstreicht, wie wichtig es ist, dass die deutsche Regierung ihr Versprechen einhält und gefährdete Afghanen unterstützt. Für sie, wie für viele andere, ist der Weg, ein Stück Heimat und Sicherheit in Deutschland zu finden, mit großen Herausforderungen verbunden, doch der Wille, eine positive Veränderung zu bewirken, bleibt ungebrochen.
Bild: privat
Die aktuelle humanitäre Krise in Afghanistan
Nach der Machtübernahme der Taliban im August 2021 hat sich die humanitäre Lage in Afghanistan dramatisch verschlechtert. Laut dem UN-Generalsekretär Antonio Guterres sind mehr als 28 Millionen Menschen in Afghanistan auf humanitäre Hilfe angewiesen. Dies macht etwa zwei Drittel der Bevölkerung aus. Die Sicherheitslage im Land hat sich weiter verschlechtert, und Berichte über Menschenrechtsverletzungen, insbesondere gegen Frauen und Minderheiten, haben zugenommen. In vielen Städten haben Taliban-Kräfte die Kontrolle übernommen, was zu einem Anstieg der Gewalt und der Verfolgung von ehemaligen Regierungsangestellten, Aktivisten und Journalisten geführt hat. Viele Menschen leben in ständiger Angst vor Repressalien.
Die UN-Flüchtlingshilfe berichtet, dass über 5,7 Millionen Afghanen im Jahr 2023 außerhalb des Landes leben, darunter viele, die in Nachbarländer wie Iran und Pakistan geflüchtet sind, wo sie unter prekären Bedingungen leben. Diese Flüchtlinge haben oft keinen Zugang zu grundlegenden Diensten wie Bildung, medizinischer Versorgung oder Beschäftigung. Diese Zustände haben die internationaler Gemeinschaft veranlasst, verstärkt Hilfe und Schutz zu fordern, während Organisationen wie das Rote Kreuz und UNHCR vor Ort versuchen, die dringendsten Bedürfnisse zu adressieren.
Internationale Reaktionen und Unterstützungsprogramme
Die internationale Gemeinschaft hat auf die Krise mit verschiedenen Unterstützungspaketen reagiert. Neben dem Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan bieten viele NGOs und internationale Organisationen Programme zur Unterstützung von gefährdeten Afghanen an. Diese Programme umfassen rechtliche Hilfe, Sprachkurse, psychologische Unterstützung sowie Integration in die Gesellschaft. Die Aufnahme von Migranten und Flüchtlingen wird jedoch von vielen Staaten weiterhin kontrovers diskutiert, was die Situation vieler Bedürftiger kompliziert.
Statistiken zur Flüchtlingssituation
Laut dem UNHCR sind in den letzten Jahren über 2,7 Millionen Afghanen aus ihrer Heimat geflohen. Die Aufnahme und Integration dieser Menschen wird von verschiedenen Ländern vorgenommen, allerdings variieren die Reaktionen stark. In Deutschland beispielsweise haben kürzlich veröffentlichte Statistiken gezeigt, dass im Jahr 2023 lediglich 4.000 von den ursprünglich geplanten 10.000 Afghanen tatsächlich aufgenommen wurden. Dies hat zu einer weiteren Diskrepanz zwischen der Notwendigkeit von Hilfe und der tatsächlichen Unterstützung geführt, wobei viele Afghanen nach wie vor in Drittstaaten ausharren und auf eine Möglichkeit zur Einreise hoffen.
Die Bremer Senatorin für Inneres berichtet, dass bis zum August 2023 insgesamt 34.300 gefährdete Afghanen nach Deutschland eingereist sind, was die Dringlichkeit unterstreicht, entsprechende Programme zu verstärken und die bürokratischen Hürden für die Einreise zu senken. In den letzten Monaten hat die Bundesregierung angekündigt, die Programme zu überprüfen und gegebenenfalls anzupassen, um mehr Afghanen zeitnah zu helfen.
Psychosoziale Belastungen der Geflüchteten
Studien haben gezeigt, dass viele afghanische Flüchtlinge unter erheblichen psychischen Belastungen leiden, die durch Verlust, Vertreibung, traumatische Ereignisse und die Unsicherheit in der neuen Heimat verstärkt werden. Die Notwendigkeit von psychosozialer Unterstützung ist daher von großer Bedeutung. In Bremen gibt es Programme, die sich auf die mentale Gesundheit von Migranten konzentrieren und versuchen, diese durch Therapieangebote und Community-Events zu fördern.
Perspektiven für die Zukunft
Die Perspektiven für ehemalige Ortskräfte und andere gefährdete Afghanen in Deutschland bleiben herausfordernd. Während einige Programme für Integration und Hilfe bereitstehen, berichten viele von den bürokratischen Hürden und dem Mangel an umfassender Unterstützung. Von der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) wird erwartet, dass sie ihre Rolle bei der Unterstützung von Rückkehrern und Migranten verstärken, um den Übergang in die deutsche Gesellschaft zu erleichtern. Die kommenden Monate werden entscheidend sein, um zu klären, wie die Bundesregierung und die Gesellschaft mit der jetzigen humanitären Herausforderung umgehen.