Chemnitz

„Ungarische Erinnerungen: Fünf Lebensgeschichten aus der DDR“

Fünf ungarische Gastarbeiter erzählen von ihren Erfahrungen in der DDR während der 70er und 80er Jahre, als sie durch ein Abkommen zwischen beiden Ländern nach Deutschland kamen, um zu arbeiten und neue Perspektiven zu gewinnen, was die deutsch-ungarische Freundschaft und ihre persönlichen Lebenswege bis heute prägt.

In den 70er und 80er Jahren zog es viele junge Ungarn, auf der Suche nach Arbeit und neuen Erfahrungen, in die Deutsche Demokratische Republik (DDR). Durch ein Abkommen zwischen beiden Ländern konnten sie vor allem in den Industriebereichen der DDR Fuß fassen. Fünf von diesen ehemaligen Arbeitskräften teilen ihre Erinnerungen, die ebenso von Herausforderungen als auch von bedeutenden Begegnungen geprägt sind.

Die Anwesenden in Riesa sind sichtbar stolz, als die ungarische Flagge weht, trotz eines kleinen Windböe, die sie durcheinanderbringt. Oberbürgermeister Marco Müller weiht zusammen mit dem NDK-Verein einen besonderen Baum ein, der an die Freundschaft zwischen Deutschland und Ungarn erinnern soll. Diese festliche Einweihung motivierte einige Ungarn, den langen Weg aus ihrer Heimat zurück nach Deutschland zu machen, um den Moment gemeinsam zu erleben.

Vom Studenten zum Stopfenmacher

Ferenc Nagy ist ein Beispiel für die jungen Ungarn, die während dieser Zeit in die DDR kamen. Mit gerade einmal 18 Jahren landete er förmlich in einem neuen Land, um dort als Stopfenmacher zu arbeiten. „Die Sprache hat mir am Anfang einige Schwierigkeiten bereitet“, erinnert er sich, „doch nach zwei Wochen in einer Sprachschule konnte ich mich verständigen.“ Er arbeitete von 1977 bis 1980 in der DDR und obwohl es 40 Jahre dauerte, bis er wieder nach Riesa kam, blieben viele positive Erinnerungen an die freundlichen Menschen und die wertvollen Erfahrungen hängen.

Ein ähnlicher Weg führt die jüngere Márta Gergely, die 1980 nach Erfurt zog. Ermutigt von einer Zeitungsanzeige, trat sie eine Stelle in der Mikroelektronik-Abteilung an. Die Umstellung auf die Arbeitsbedingungen und das Drei-Schicht-System waren herausfordernd, doch mit der Zeit gewöhnte sie sich daran. Als sie nach drei Jahren zurück nach Ungarn musste, wurde der Abschied sehr emotional. „Ich wollte nicht zurück“, gesteht sie mit feuchten Augen. Es war eine Zeit, in der sie Freundschaften schloss und praktisch heranwuchs.

Wenn man heute von Tibor Berta spricht, hat man das Bild eines Mannes vor Augen, der seine Wurzeln nie vergessen hat. Als jemand, der in der Nähe von Bautzen arbeitete, entschied er sich schließlich, seine Familie in Sachsen zusammenzubringen. Trotz der langen Zeit, die er hier lebt, verspürt er die ungarische Identität stark. „Ich fühle mich überall Ungar!“, sagt er, und seine Stimme klingt dabei voller Stolz und Aufrichtigkeit.

Erinnerungen und Rückkehr

János Májer, der 18-jährig in Chemnitz ankam, demonstriert, wie stark die Nostalgie für die ungarischen Gastarbeiter noch heute ist. „Die Menschen hier waren so freundlich zu mir, das hat mir immer gefallen“, sagt er über seine Erfahrungen. Er arbeitete dort in der Stadtverwaltung und kehrte schließlich aus Ungarn zurück, um in Chemnitz ein neues Leben zu beginnen. Die monatlichen Nostalgie-Reisen, die von einem lokalen Verein organisiert werden, sind ein beliebtes Event für viele Ungarn, die beim Anblick von Erinnerungsstücken ihre Vergangenheit wieder aufleben lassen wollen.

Ferenc Koleszár schließlich hat seinen Aufenthalt in Chemnitz nie vergessen. Von 1971 bis 1979 war er dort und erinnert sich an seine alten Kollegen, von denen er einige nun sucht: „Ich habe mit ihnen in Moskau studiert und möchte gerne wissen, was aus ihnen geworden ist.“ Sein Aufruf an jeden, der Informationen hat, wird mit einer E-Mail-Adresse an die Öffentlichkeit gerichtet. Dies verdeutlicht, wie tief die Verbindungen bleiben, auch Jahre nach der Rückkehr.

Die Geschichten dieser fünf ehemaligen Arbeitskräfte sind nicht nur persönliche Erinnerungen, sondern spiegeln auch eine Zeit wider, in der solidarische Verbindungen zwischen zwei Nationen entstanden sind. Die Einsichten und das Gefühl der Zugehörigkeit in der Diaspora zeigen, wie wichtig kulturelle Erinnerungen und der Austausch über Generationen hinweg sind. Trotz der politischen Trennungen sind es die menschlichen Geschichten, die letztlich die Grenzen überwinden.

Der historische Kontext: Ungarische Arbeiter in der DDR

Die Anwerbung ungarischer Arbeiter in der DDR hatte ihre Wurzeln in den wirtschaftlichen Herausforderungen der 1960er Jahre. Die DDR litt unter einem akuten Fachkräftemangel, hervorgerufen durch die Abwanderung in westliche Länder. Um diese Lücken zu schließen, wurden internationale Abkommen notwendig. 1967 kam es zum ersten bilateralen Abkommen zwischen der DDR und Ungarn, das die Rekrutierung von ungarländischen Arbeitskräften in der DDR ermöglichte. Diese Verträge hatten sowohl politische als auch wirtschaftliche Ziele: Einerseits sollte das sozialistische System stabilisiert, andererseits die Produktivität in der DDR gesteigert werden.

Im Laufe der 1970er und 1980er Jahre kamen Tausende von Ungarn in die DDR, um in verschiedenen Branchen zu arbeiten – von der Landwirtschaft bis zur Industrie. Viele dieser Arbeiter lebten in Wohnheimen und waren oft von ihren Familien getrennt, während sie versuchten, in einer fremden Kultur Fuß zu fassen. Die DDR versuchte, die Integration dieser Arbeiter zu fördern, jedoch mussten diese oftmals mit Vorurteilen kämpfen und lebten in einer kulturellen Isolation.

Wirtschaftliche Aspekte der Migration

Die wirtschaftlichen Bedingungen für ungarische Arbeiter in der DDR waren oft attraktiv. Sie erhielten vergleichsweise höhere Löhne, die in ihrem Heimatland erhebliche Kaufkraft hatten. Diese ökonomischen Anreize führten viele junge Ungarn dazu, in die DDR zu ziehen, zumal sie gleichzeitig die Gelegenheit hatten, Berufserfahrung zu sammeln und ihre Fähigkeiten zu verbessern. Nach dem Fall der Mauer und den damit verbundenen Veränderungen in der DDR war der Arbeitsmarkt für viele dieser Ungarn jedoch schwierig, da Unternehmen ihre Strukturen anpassen und viele Mitarbeiter entlassen mussten.

Statistische Daten zeigen, dass die Anwerbung von ausländischen Fachkräften in der DDR nicht nur zur wirtschaftlichen Aufblühung beitrug, sondern auch dazu, kulturelle Brücken zu bauen, welche die Beziehungen zwischen Ostdeutschland und Ungarn über viele Jahre hinweg stärkten. Die Dauer der Anwerbeabkommen und die damit verbundenen Erfahrungen wirken bis heute nach, besonders in den persönlichen Verbindungen, die viele der ehemaligen Gastarbeiter mit ihren deutschen Arbeitgebern und Nachbarn aufgebaut hatten.

Heutige Erinnerungen und das Vermächtnis der Gastarbeiter

Ein zentrales Thema unter den ehemaligen Gastarbeitern ist die Nostalgie. Viele der Ungarn, die in der DDR gearbeitet haben, erinnern sich nicht nur an ihre Zeit der Arbeit, sondern auch an weitere Facetten ihres Lebens, die sie dort erfahren haben. Angesichts der gesellschaftlichen Veränderungen und der schrittweisen Auflösung der DDR ging ein Teil dieser Erinnerungen verloren. Doch die Generation der Gastarbeiter und deren Nachkommen versuchen aktiv, diese Erinnerungen zu bewahren.

Aktuelle Initiativen und Programme haben das Ziel, die Erinnerungen an diese Zeit aufrechtzuerhalten. Der Verein, der den Freundschaftsbaum in Riesa pflanzte, ist Teil dieses Prozesses. Erinnerungsstücke, wie Fotos und persönliche Anekdoten, werden gesammelt, um die Geschichte der ungarischen Arbeiter in der DDR lebendig zu halten und das Verständnis für diese multikulturelle Vergangenheit zu fördern.

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