Die Diskussion um das Bauprojekt der Autobahn A39 zwischen Lüneburg und Wolfsburg nimmt neue Wendungen. Trotz massiver Bedenken von Umweltverbänden und einer rechtlichen Auseinandersetzung mit dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hat Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) entschieden, Geld für eine Ortsumgehung bereit zu stellen. Diese Entscheidung wird von vielen Seiten kritisiert, während die Regierungsbehörden das Projekt als dringlich betrachten.
Im Kreißaal in Gifhorn argumentiert die Grünen-Abgeordnete Karin Loock, dass die Fördermittel für die geplante Umgehung nicht gerechtfertigt sind, solange die Autobahn A39 nicht genehmigt ist. „Uns vor vollendete Tatsachen zu stellen, halte ich für starken Tobak“, erklärt Loock, und macht deutlich, dass die Weichen für die A39 nicht klar gesetzt sind. Minister Lies sieht die A39 hingegen als zentralen Bestandteil der niedersächsischen Infrastruktur, die die Region für den Verkehr als auch für wirtschaftliche Perspektiven erschließen soll.
Umstrittenes Nutzen-Kosten-Verhältnis
Ein zentrales Argument gegen den Bau der Autobahn ist das angeblich schlechte Nutzen-Kosten-Verhältnis. Das Bundesverkehrsministerium führt in seinem Verkehrswegeplan 2030 ein Verhältnis von 2,1 für die gesamte Strecke an. Dies steht jedoch in starkem Kontrast zu einem Gutachten, das für eine ähnliche Strecke ein Verhältnis von nur 0,85 ermittelt. Laut BUND sei der Nutzen der A39 nicht ausreichend, um die hohen Kosten zu rechtfertigen.
Zusätzlich wird angezweifelt, ob dieser Bau unter den geltenden Umwelt- und Klimaschutzstandards noch vertretbar ist. Kritiker weisen darauf hin, dass bisher keine umweltfreundlichen Alternativen in Betracht gezogen wurden. Besondere Bedenken äußert der BUND in Bezug auf den Abschnitt zwischen Ehra und Wolfsburg, wo die Auswirkungen auf das Klima sowie die Flora und Fauna noch nicht hinreichend untersucht wurden.
Der zuständige Abschnitt der Autobahn ist derjenige, der am weitesten fortgeschritten ist – dennoch bleibt die finanzielle Unterstützung durch den Bund ungewiss. Ein aktuelles Projektverzeichnis, das im März 2023 veröffentlicht wurde, listet die A39 nicht unter den 144 Autobahnprojekten, die als „überragendes öffentliches Interesse“ eingestuft sind, was bedeutet, dass mögliche Klagen gegen diese Vorhaben vorrangig behandelt werden können. Die schlechte Aussichten auf schnellere Genehmigungen sorgen für zusätzliche Unsicherheit.
Minister Olaf Lies hat die Entscheidung getroffen, den sofortigen Baustart zu verschieben, was als positiver Schritt betrachtet werden könnte, um die Gerichte zu entlasten. Dennoch kritisiert Anne-Kathrin Schulze von der Initiative gegen die A39 diese Taktik. Sie beschreibt den Bau der Ortsumgehung als einen „üblen Taschenspielertrick“, der den Eindruck erwecken soll, dass die A39 unvermeidlich sei.
Finanzierung und zukünftige Schritte
Die Kosten für die Umgehungsstraße werden auf mindestens 9 Millionen Euro geschätzt, zuzüglich Planungskosten. Minister Lies und sein Team betonen, dass die Finanzierungsteilung zwischen Bund und Land gesichert sei. „Es gibt gesicherte Mittel vom Bund“, sagt der Sprecher des Ministeriums, während die Autobahn GmbH plant, das Projekt noch in diesem Jahr auszuschreiben.
Die Ortsumgehung ist jedoch nur dann wirklich sinnvoll, wenn sie im Zusammenhang mit dem Bau der Autobahn steht. Viele Anwohner befürchten, dass das Projekt der Autobahn noch weiter in die Ferne rückt, sollte die geplante Umgehung nicht mit der Hauptstrecke verbunden werden. Dies wird von Peter Albrecht, stellvertretender Bürgermeister von Ehra-Lessien, unterstützt, der die Dringlichkeit einer Entlastung für die Anwohner hervorhebt. „Wir wollen, dass die Autobahn schnell kommt“, sagt Albrecht und betont die Notwendigkeit eines Voranschreitens.
Die Kreistagsabgeordnete Karin Loock zeigt sich enttäuscht darüber, dass es an Transparenz fehlt. An dem Tag, an dem Olaf Lies die Entscheidung über die Ortsumgehung verkündete, hatten die Grünen bereits eine Information über den Stand der Autobahnplanungen gefordert und waren nicht informiert worden. „Das ist ein Affront gegen die Grünen“, erklärt Loock und kritisiert die mangelnde Kommunikation mit den oppositionellen Parteien.
Ein umstrittenes Bauvorhaben
Die A39 bleibt ein umstrittenes Projekt in Niedersachsen. Ob es zu einem Baubeginn kommt, ist ungewiss, aber das Thema steht weiterhin im Mittelpunkt politischer und öffentlicher Debatten. Mit jedem neuen Schritt im Planungsverfahren wird die Spannung um die A39 nur steigen, zusammen mit den verschiedenen Meinungen über die Notwendigkeit und Nachhaltigkeit des gesamten Projekts.
Historische Parallelen
Der Streit um den Bau der A39 zwischen Lüneburg und Wolfsburg erinnert an ähnliche Konflikte in der Vergangenheit, insbesondere im Hinblick auf den Bau von Autobahnen in Deutschland in den 1970er und 1980er Jahren. Ein markantes Beispiel ist die A20, auch als „Ostseeautobahn“ bekannt. Der Bau dieser Autobahn stieß auf erhebliche Widerstände, insbesondere von Umweltverbänden, die Bedenken hinsichtlich der Auswirkungen auf Natur und Landschaft äußerten. Ähnlich wie beim aktuellen Projekt blockierten Klagen und Proteste den Fortschritt, was zu langwierigen Verzögerungen und erhöhten Kosten führte.
Ein wesentlicher Unterschied zwischen diesen beiden Fällen ist der gestiegene Fokus auf Umwelt- und Klimaschutz in den letzten Jahren. Während bei früheren Autobahnprojekten oftmals weniger Rücksicht auf ökologische Auswirkungen genommen wurde, sehen sich heutige Planungsverfahren strengen Auflagen und Prüfungen, wie etwa den Anforderungen zur Strategischen Umweltprüfung. Diese neuen Standards wurden jedoch in den aktuellen Planungen für die A39, wie der BUND feststellt, anscheinend nicht ausreichend berücksichtigt.
Hintergrundinformationen zur Infrastrukturplanung
Die Planung und Genehmigung von Infrastrukturprojekten in Deutschland ist ein komplexer Prozess, der mehrere Ebenen umfasst — von der politischen Entscheidung bis zur Berücksichtigung von Umweltbelangen. Historisch gesehen sind solche Projekte oft umstritten, vor allem in Bezug auf die Einflussnahme auf die Umwelt und die Lebensqualität der Anwohner. Im Fall der A39 gibt es zum Beispiel Bedenken hinsichtlich der Schädigung von Flora und Fauna im betroffenen Gebiet, was durch EU-Vorgaben reguliert wird.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der wirtschaftliche Nutzen, der solchen Projekten zugeschrieben wird. Der Niedersächsische Wirtschaftsminister hebt hervor, dass die A39 eine wirtschaftliche Entlastung für die Region schaffen wird, insbesondere für die ansässigen Unternehmen — darunter auch Volkswagen in Wolfsburg. Jedoch bleibt unklar, ob die prognostizierten wirtschaftlichen Vorteile die ökologischen und sozialen Kosten tatsächlich rechtfertigen, insbesondere in Anbetracht der plötzlichen Erhöhung der Baukosten und des damit verbundenen Nutzen-Kosten-Verhältnisses.
Aktuelle Statistiken und Daten
Laut dem Bundesverkehrswegeplan 2030 wurde für die A39 ein Nutzen-Kosten-Verhältnis von 2,1 kalkuliert, was darauf hindeutet, dass die wirtschaftlichen Vorteile die Kosten übersteigen sollen. Im Gegensatz dazu ergab ein Gutachten, das im Auftrag der Grünen-Landtagsfraktion erstellt wurde, dass bei einem höheren angenommenen Baukosten von 3 bis 4 Milliarden Euro das Verhältnis auf 0,85 fallen könnte. Diese verschiedenen Schätzungen zeigen die Unsicherheiten, die mit Infrastrukturprojekten verbunden sind und münden in eine kontroverse Debatte über die tatsächliche Notwendigkeit und den Nutzen der A39.
Darüber hinaus ermittelte der BUND, dass die bestehenden Planungen unzureichend sind, insbesondere in Bezug auf die Auswirkungen auf die Biodiversität in den betroffenen Gebieten. Im Kontext des Klimawandels und der Biodiversitätskrise stellen solche Projekte größere Herausforderungen dar, da sie oft im Widerspruch zu Umweltzielen stehen.
Die A39 ist also nicht nur ein infrastrukturelles Projekt, sondern auch ein Mikrokosmos der aktuellen Debatten über den Ausgleich zwischen ökonomischen Interessen und ökologischen Anforderungen.