In der heutigen Zeit, in der die Welt zunehmend digitalisiert wird, scheint es fast paradox, dass die Deutsche Bahn, ein zentraler Akteur im deutschen Verkehrsnetz, gerade einen Rückschritt in der Digitalisierung plant. Nach einem Bericht des Südwestrundfunks (SWR) am Freitag wurden interne Pläne der Netzgesellschaft Infra-GO veröffentlicht, die nahelegen, dass die Deutsche Bahn die Digitalisierung von Zugstrecken in Deutschland einstellen möchte. Dieses überraschende Vorhaben hat die Verkehrsminister der Länder Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein dazu veranlasst, dies zu bestätigen.
Die Beweggründe für diese Entscheidung sind nichts Ungewöhnliches, sondern beruhen auf sehr rationalen Überlegungen. Verantwortliche bei der DB haben festgestellt, dass die Implementierung neuer Stellwerktechniken als kostenintensiv und personalkräftig angesehen wird. Aufgrund dieser Erkenntnis wurde beschlossen, kaputte Anlagen durch bewährte Technologien aus den 90er Jahren zu ersetzen, was einem klaren Zeichen für einen Technologierückschritt gleichkommt.
Rückblick auf die Digitale Zukunft
Diese Aussichten werfen die Frage auf, ob die Verantwortlichen bei der DB tatsächlich bereit sind, Ressourcen in eine Technik zu investieren, deren Nutzen fraglich erscheint. ETCS gilt hauptsächlich als Sicherheitstechnologie, die nicht unbedingt die Geschwindigkeit oder Frequenz des Bahnverkehrs erhöht. Stattdessen wurde von Experten berichtet, dass die Kapazitäten mit der Einführung des ETCS zwischen zehn und fünfzehn Prozent sinken könnten. Naheliegenderweise liegt der Fokus dann auf der dringenden Notwendigkeit, das bestehende, marode Streckennetz zu sanieren.
Technologie ohne Zukunft?
Die Erfahrungen aus der Praxis sind ebenfalls ernüchternd. Die ETCS-Technologie ist seit fast zwei Jahren auf der neuen ICE-Strecke Wendlingen–Ulm im Einsatz und hat sich als störanfällig erwiesen. Einmal stehende Züge können von ETCS eigenmächtig umgeleitet werden, was zu erheblichen Störungen im gesamten Betrieb führt. Trotz dieser Herausforderungen wird die Technologie weiterhin als entscheidendes Element im Rahmen des umstrittenen Projekts „Stuttgart 21“ angesehen. Dieses Projekt ist allerdings als ein Kapazitätskiller bekannt, da die bestehende Stellwerkstechnik nicht in die engen Tunnel integriert werden kann.
Zu den weiteren Komplikationen gehört die bereits beschlossene, aber infrage gestellte Realisierung des „Digitalen Knotens Stuttgart“, an dessen Realisierung zuletzt große Zweifel geäußert wurden. Die Infra-GO hatte in den vergangenen Monaten verschiedene Projekte auf eine mögliche Streichliste gesetzt, was zusätzliche Unsicherheit über die zukünftige digitale Infrastruktur der Bahn geschaffen hat. Die DB hat allerdings schnell reagiert und den SWR-Bericht als falsch bezeichnet und versichert, dass man weiterhin an der Digitalisierung festhalte.
Die ernsthaften Bedenken und die bereits getroffenen Entscheidungen der Deutschen Bahn lassen jedoch die zentrale Frage offen, in welche Richtung sich das Unternehmen entwickeln möchte. In einer Zeit, in der andere Sektoren um die Vorteile digitaler Systeme kämpfen, stellt sich die Bahn selbst ins Abseits. Die Notwendigkeit, eine nachhaltige und moderne Verkehrsinfrastruktur zu schaffen, könnte auf diese Weise schwerer zu erreichen sein als gedacht.