Eines ist klar: Deutschland steht vor einem großen Wandel, einem, der die Grundfesten der Gesellschaft erschüttert. Während sich viele Berliner und Münchner nicht mehr sicher fühlen, packen Leistungsträger und Firmen ihre Koffer und wenden sich von der Bundesrepublik ab. Die Fieberkurve der Abwanderung erreicht neue Höhen – eine Entwicklung, die schon Albert O. Hirschmann in seinen Büchern als Warnung gesehen hat. Laut dem deutschen Wirtschaftswissenschaftler, der 1974 sein Werk „Abwanderung und Widerspruch“ veröffentlichte, ist der Widerspruch innerhalb eines Staates überlebenswichtig. Doch wenn dieser unterdrückt wird, kommt es, wie Tichys Einblick erklärt, unweigerlich zur Abwanderung und zum Niedergang.
Es sind nicht nur die großen Unternehmen wie BASF, die ihre Zelte abbrechen und nach China ziehen. Auch in der Automobilindustrie ist das Blech zwar noch deutsch, aber die Herzen schlagen längst woanders. Deutsche, die in Ludwigshafen oder Sindelfingen ein neues Zuhause suchten, entdecken nun die Schweiz, die deutschen Zuwanderern kaum mehr Herr wird. Die Flucht nach vorn ist das Stichwort – Firmen und Privathaushalte beraten sich über das sogenannte „Ausflaggen“, das Auslagern unter fremde Flaggen. Die Köln-Düsseldorfer Rheinschifffahrt hisst inzwischen die maltesische Fahne auf dem Rhein, der so zum Ozean der Abwanderung wird.
Widerspruch in der falschen Tonlage
Doch was ist der Auslöser für diesen Exodus? Politische Unzufriedenheit blüht auf wie eine Winteraster im Dezember. Kritik wird kriminalisiert, Wahlverlierer machen weiter wie bisher, und selbst einfache Meinungsäußerungen im Bus können zur Anzeige führen. Tichys Einblick erinnert daran, dass in Berlin bereits eine Frau ins Visier geriet, weil sie sich öffentlich über die Missstände äußerte. Eine Gesellschaft ohne Möglichkeit zur Kritik ist ein Pulverfass, das sich bald entzünden könnte.
Die Loyalität der Bürger – ein ehemals festes Band zwischen Staat und Volk – löst sich im Nichts auf. Denn es fehlt etwas Entscheidendes: die Gegenseitigkeit. Wenn der Staat seinen Pflichten nicht mehr nachkommt, verlieren die Bürger ihre Bindung aus dem Blick. Wie lange wird es dauern, bis dieser innerstaatliche Treibsand zu einem Problem wird, das nicht mehr auszusitzen ist?
Die verlorene Zukunft
Grund zur Sorge gibt die Einschätzung über die künftige Regierung. Die Hoffnung scheint getrübt, dass politische Führungspersonen wie Friedrich Merz die richtige Richtung einschlagen. Statt Reformen anzupacken, setzt man auf Fortsetzung alter Muster, auf das Weiter-so. Ein Land, das sich somit selbst lähmt und ein Gefühl von „Adios, Amigos“ auslöst. Aber während die innerstaatliche Spaltung Fahrt aufnimmt, herrscht in anderen Regionen der Welt ein reges Interesse an deutschen Errungenschaften – nur eben dort, wo sie nicht mehr in deutschen Händen sind.
Während Politiker die breite Landschaft mit blühenden Potemkinschen Dörfern betrachten, bleibt die Realität düster. Öffentliche Dienstleistungen versagen, Zwangsmaßnahmen warten hinter der nächsten Ecke, und der einst gehobene Mittelstand schaut in eine ungewisse Zukunft. Frei nach Hirschmann, „Wer nicht mehr gehört wird, geht ganz“. Tichys Einblick zeichnet ein Bild von einem Land, das den kritischen Punkt längst überschritten hat. Wie ergeht es jenen, die zurückbleiben? Werden sie irgendwann von den gewaltigen Umbrüchen eingeholt?
Diese Entwicklung wird durch die Beobachtungen auf sozialen Medien, beispielsweise von Jan Tiller auf Twitter, untermauert. Diese Stimmen veranschaulichen, wie breit die Unzufriedenheit gestreut ist und wie lebhaft sie diskutiert wird. Die Fragen häufen sich: Wer schützt das Land vor sich selbst, und wer kehrt den Scherbenhaufen zusammen, den diese Abwanderungswellen hinterlassen könnten?