Göttingen – Ein bedeutendes Stück Vergangenheit kehrt nach Göttingen zurück: Die Klingebiel-Zelle, ein künstlerisch gestalteter Raum im ehemaligen Verwahrhaus, wird für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Dies ist nicht nur eine bauliche Entscheidung, sondern auch ein Schritt, um das kulturelle Erbe und die Geschichte des psychiatrischen Systems in Deutschland wieder ins Rampenlicht zu rücken.
Einblicke in die Psychiatriegeschichte
Die Klingebiel-Zelle ist mehr als nur ein Raum; sie erzählt die Geschichte von Julius Klingebiel, der von 1951 bis zu seinem Tod im Jahr 1965 hier lebte. Einst als schizophren diagnostiziert, verbrachte er viele Jahre in verschiedenen Einrichtungen, bevor er in Göttingen untergebracht wurde. Die Umstände seiner Unterbringung, die ohne richterliche Anordnung erfolgte, werfen Fragen zu den Praktiken und der Behandlung von psychisch erkrankten Personen in der Vergangenheit auf.
Künstlerische Ausdrucksformen eines Einsamen
Das Besondere an der Zelle sind die beeindruckenden Wandgemälde, die Klingebiel während seines Aufenthalts mit viel Engagement schuf. Sie bieten einen faszinierenden Einblick in seinen inneren Kosmos. Auf der linken Seite des Raumes finden sich kleinformatige Zeichnungen, die Themen wie Religion und Nationalsozialismus behandeln, während die rechte Wand von großflächigen Malereien, beispielsweise Hirschen, geprägt ist. Diese Kunstwerke sind nicht nur ein Ausdruck seines persönlichen Kampfes, sondern auch ein Dokument der Zeitgeschichte.
Restaurierung und Denkmalschutz
Die Zelle, die seit ihrer Eintragung in den niedersächsischen Denkmalatlas 2012 unter Denkmalschutz steht, wird nun aufwendig restauriert. Diese Arbeiten, die mehr als fünf Millionen Euro kosten werden, beinhalten den Einbau von Klimatechnik und einen Glaskasten, um die Kunstwerke vor äußeren Einflüssen zu schützen. Dies ist wichtig, da eine Schutzschicht über den Bildern inzwischen zu bröckeln beginnt und befürchtet wird, dass auch Teile der Malerei verloren gehen.
Zugänglichkeit für Kunst und Bildung
Die Wiederherstellung des Gebäudes, das seit 2016 leer steht, als Depot für die Landesmuseen Hannover und Braunschweig, bietet gleichzeitig die Gelegenheit, die Klingebiel-Zelle für Schulklassen, Wissenschaftler und Geschichtsinteressierte zugänglich zu machen. Ab August sollen die Türen für Besucher geöffnet werden, die nicht nur die Kunstwerke erleben, sondern auch mehr über die Geschichte der Psychiatrie erfahren können.
Die Entscheidung, die Klingebiel-Zelle für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen, ist ein bedeutender Schritt in Richtung der Aufarbeitung und Diskussion über psychische Erkrankungen sowie der Diskriminierung, die viele Betroffene erleiden mussten. Die künstlerischen Werke Klingebiels könnten dazu beitragen, ein offenes Gespräch über diese Themen zu fördern und das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer empathischen und respektvollen Behandlung von psychisch Erkrankten zu erhöhen.
– NAG