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Gewalt in Arztpraxen: Mehr Übergriffe auf Ärzte in Sachsen-Anhalt

In Sachsen-Anhalt ist die Gewalt in Arztpraxen gestiegen, da das Landeskriminalamt einen Anstieg auf 392 Übergriffe im vergangenen Jahr verzeichnete, was eine 26-prozentige Zunahme innerhalb von fünf Jahren bedeutet, und sowohl Patienten als auch Klinikpersonal von verbalen und tätlichen Attacken betroffen sind, was zu einem wachsenden Sicherheitsbedürfnis und Forderungen nach einer Verschärfung des Strafrechts führt.

Halle/MZ (ots)

In Sachsen-Anhalt ist eine besorgniserregende Entwicklung in den Arztpraxen und Kliniken festzustellen: Die Übergriffe auf Ärzte und das medizinische Personal nehmen zu. Laut dem Landeskriminalamt (LKA) sind die Zahlen der registrierten Gewaltakte in den letzten fünf Jahren gestiegen, was auf eine besorgniserregende Tendenz hindeutet. Im Jahr 2022 wurden 392 Vorfälle verzeichnet, was einer Zunahme von 26 Prozent im Vergleich zu 311 Vorfällen vor fünf Jahren entspricht.

Besonders am Universitätsklinikum Halle wird von einem Anstieg von aggressivem Verhalten berichtet. Dunja Mouchairefa, die Sicherheitsmanagerin der Einrichtung, erläuterte, dass sowohl verbale als auch körperliche Übergriffe sowie Sachbeschädigungen zugenommen haben. Um der Situation gerecht zu werden, wurde eine neue Fachkraft für Interventionen in der Zentralen Notaufnahme eingestellt, um gezielt auf Vorfälle reagieren zu können.

Zunehmende Aggression in Arztpraxen

Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) hat ebenfalls einen alarmierenden Anstieg an Meldungen über aggressive Verhaltensweisen in Arztpraxen beobachtet. Sprecherin Heike Liensdorf berichtet von erschreckenden Vorfällen: Angefangen bei beleidigendem Verhalten bis hin zu körperlichen Angriffen. Ein besonders drastischer Fall beinhaltete einen Patienten, der einen Bereitschaftsarzt während eines Hausbesuchs in seiner Wohnung einsperrte. Ein anderer Vorfall ereignete sich in einer Sprechstunde, wo eine Ärztin direkt angegriffen wurde.

Diese Vorfälle zeigen nicht nur eine unglückliche Entwicklung innerhalb des Gesundheitssektors, sondern sind auch Teil eines viel größeren gesellschaftlichen Problems. Hausarzt Till Hartmann sieht in dieser Verrohung einen besorgniserregenden Trend, der nicht nur Ärzte betrifft, sondern die gesamte Gesellschaft beeinflusst. „Ich sehe einen Verlust von Anstand und Respekt“, so Hartmann. Diese aggressive Einstellung ist nicht nur auf Arztpraxen beschränkt; sie zeigt sich auch in einem Anstieg von Angriffen auf Rettungskräfte, was die Notwendigkeit einer umfassenderen gesellschaftlichen Diskussion über Respekt und Anstand unterstreicht.

Reaktionen und Forderungen nach Schutz

Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, äußerte sich ebenfalls besorgt über die zunehmend gewalttätigen Übergriffe, die nicht nur in Notaufnahmen, sondern auch bei niedergelassenen Ärzten vermehrt auftreten. Um dieser beunruhigenden Entwicklung entgegenzutreten, wird von Seiten der Ärzte eine Verschärfung des Strafrechts gefordert. Diese soll einen besseren Schutz für Ärzte gewährleisten, während bislang lediglich Rettungskräfte von den Reformplänen des Bundesjustizministers Marco Buschmann (FDP) erfasst werden.

Die aktuellen Geschehnisse werfen ein Schlaglicht auf die Herausforderungen, vor denen das Gesundheitssystem steht. Es wird immer klarer, dass eine grundlegende Änderung in der gesellschaftlichen Wahrnehmung und im Umgang miteinander notwendig ist, um derart bedrohlichen Vorfällen vorzubeugen.

Ein gesellschaftliches Phänomen

Die zunehmende Aggression in Arztpraxen und Kliniken ist nicht nur ein Problem des Gesundheitssystems, sondern spiegelt degradierten gesellschaftlichen Umgang wider. Es lässt sich nicht leugnen, dass der Umgangston in vielerlei Hinsicht rauer geworden ist. Die Zahlen, die vom LKA und der KV präsentiert werden, sind ein Weckruf für alle, sich intensiver mit den Ursachen dieser Entwicklung auseinanderzusetzen und Lösungen zu finden, die über die bloße Unterscheidung von Täter und Opfer hinausgehen. Nur durch gemeinsames Nachdenken und Handeln können respektvolle Freizeit- und Berufsumfelder gefördert werden.

Ursachen für die Zunahme von Übergriffen

Die Gründe für die steigende Gewalt gegen Ärzte und medizinisches Personal sind vielfältig und komplex. Eine der häufigsten Erklärungen ist die steigende Stressbelastung sowohl bei Patienten als auch im medizinischen Umfeld. Die Covid-19-Pandemie hat die ohnehin schon belastende Situation in Kliniken und Praxen weiter verschärft. Viele Patienten sind verunsichert, was zu Frustration und Aggressivität führen kann. Gleichzeitig sind Ärzte und das Pflegepersonal oft überarbeitet und unter Druck, was die Dynamik zwischen Patienten und Personal zusätzlich belasten kann.

Zusätzlich spielen gesellschaftliche Veränderungen eine Rolle. Eine generelle Verrohung des gesellschaftlichen Klimas, in dem Respekt und Höflichkeit immer seltener zum Alltag gehören, wird von vielen Experten als eine Ursache für das steigende Maß an Gewalt angesehen. Studien zeigen, dass sich die Kommunikation zwischen Menschen in den letzten Jahren zunehmend verschlechtert hat, was sich auch in aggressiven Verhaltensweisen äußert. Ethik- und Kommunikationsforscher warnen vor den längerfristigen Folgen solcher Verhaltensweisen auf die Gesellschaft insgesamt. Es ist ein Zeichen, dass grundlegende soziale Werte wie Empathie und Rücksichtnahme unter Druck stehen.

Auswirkungen auf das medizinische Personal

Die zunehmende Gewalttaten gegen Ärzte und medizinisches Personal haben nicht nur Auswirkungen auf die Sicherheit am Arbeitsplatz, sondern auch auf die psychische Gesundheit der Betroffenen. Viele Ärzte berichten von einem Anstieg von Stress, Angstzuständen und Burnout. Dies kann dazu führen, dass Fachkräfte das Berufsfeld verlassen oder den Kontakt zu Patienten meiden, was die medizinische Versorgung langfristig gefährden könnte. Laut einer Umfrage der Ärztekammer haben fast 30% der befragten Ärzte angegeben, dass sie Übergriffe in der einen oder anderen Form erlebt haben, was zu einem signifikanten Rückgang der Arbeitszufriedenheit führt.

Berufliche Unterstützungssysteme und Schulungen im Bereich Deeskalation sind notwendig, um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken. Einige Kliniken in Sachsen-Anhalt haben bereits spezifische Trainings für ihr Personal eingeführt, um sie besser auf gewaltsame Übergriffe vorzubereiten und ihnen Strategien an die Hand zu geben, die helfen, gefährliche Situationen zu deeskalieren. Diese Maßnahmen sind essenziell, nicht nur für die Sicherheit der Mitarbeiter, sondern auch für die Qualität der Patientenversorgung.

Rechtliche Rahmenbedingungen und Forderungen an die Politik

Die Kassenärztliche Vereinigung und die Kassenärztliche Bundesvereinigung fordern eine Überarbeitung des Strafrechts, um Ärzte und medizinisches Personal besser zu schützen. Dies könnte beispielsweise eine Erhöhung der Strafen für Tätlichkeiten gegen medizinisches Personal beinhalten. Im Rahmen ihrer Kampagnen betonen diese Institutionen auch die Wichtigkeit einer breiteren gesellschaftlichen Debatte über Respekt im Gesundheitswesen.

Im Idealfall sollte die Politik nicht nur auf die steigenden Übergriffe reagieren, sondern proaktives Handeln in Form von Präventionsmaßnahmen fördern. Dies könnte Schulungsangebote für Patienten umfassen, die über angemessenes Verhalten in Arztpraxen aufklären, sowie ein stärkere Berücksichtigung der psychischen Gesundheit in der ärztlichen Ausbildung.

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