Die deutsche Industrie sieht sich in einer besorgniserregenden Situation wieder. Zahlreiche Unternehmen kündigen Massenentlassungen an, was auf einen anhaltenden wirtschaftlichen Rückgang hinweist. Der Autozulieferer ZF Friedrichshafen plant, über 10.000 Arbeitsplätze abzubauen. Dies ist jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Die aktuelle Lage in der Industrie scheint besorgniserregender als je zuvor, und die Gründe dafür sind vielschichtig.
Michael Grömling, der Konjunkturchef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), hebt hervor, dass die Lücken in der Industrieproduktion alarmierend sind. Im zweiten Quartal 2024 wird erwartet, dass die Produktionslücke im Vergleich zum Jahresdurchschnitt 2019 bei ungefähr 10 Prozent liegt. Das bedeutet, dass die Industrie in Deutschland erheblich hinter ihren Möglichkeiten zurückbleibt. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Im verarbeitenden Gewerbe sind aktuell saisonbereinigt 318.000 Arbeitsplätze weniger vorhanden als im Durchschnitt des Jahres 2019, was einem Rückgang von 4 Prozent entspricht.
Ursachen für die Krise
Die Ursachen für diese Krise sind komplex und vielfältig. Laut Grömling gibt es vier Hauptfaktoren, die diesen Abwärtstrend antreiben. Zunächst ist die schwache Weltwirtschaft ein wesentlicher Faktor. Da der deutsche Export zu 80 Prozent aus Industriewaren besteht, ist eine lahmende weltwirtschaftliche Lage für die deutschen Unternehmen äußerst problematisch. Im ersten Halbjahr lag der Export nahezu auf dem Vorjahresniveau, was als Zeichen dieser Schwäche interpretiert werden kann.
Ebenfalls besorgniserregend ist das geringe Investitionsvolumen in der Industrie. Diese Zurückhaltung wird durch die schwache Inlandsnachfrage und die unsicheren Geschäftsaussichten verstärkt. Dies bremst nicht nur den Bau neuer Fabriken, sondern dämpft auch die Nachfrage nach wichtigen Vorleistungsgütern. In Kombination mit einer Krise in der Bauwirtschaft ist die Lage noch angespannter und gefährdet die gesamte Wertschöpfungskette.
Ein weiterer Aspekt ist die wirtschaftliche Unsicherheit, die durch geopolitische Spannungen und politische Unklarheiten verstärkt wird. Grömling zeigt auf, dass diese Unsicherheiten für nahezu zwei von drei Unternehmen in Deutschland ein erhebliches Risiko bei Investitionsentscheidungen darstellen. Der unklare wirtschaftspolitische Kurs in Deutschland hat das Vertrauen der Unternehmen schwer erschüttert.
Zudem sind die Wettbewerbsbedingungen für deutsche Unternehmen alles andere als günstig. Die steigenden Energiepreise, erhöhte Rohstoff- und Materialkosten sowie die gestiegenen Arbeitskosten machen es ihnen schwer, sich auf dem internationalen Markt zu behaupten. Der Euro hat sich zudem im Vergleich zu den Währungen internationaler Wettbewerber aufgewertet, was die Konkurrenzfähigkeit deutscher Produkte weiter einschränkt.
Die Situation in der deutschen Industrie steht im Widerspruch zu den politischen Hoffnungen auf ein „grünes Wirtschaftswunder“. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte eine Wende in der Wirtschaft prophezeit, die durch den Umstieg auf klimafreundliche Technologien und eine hohe Nachfrage nach entsprechenden Produkten aus Deutschland gefördert werden sollte. Grömling warnt jedoch, dass die aktuellen Unsicherheiten durch die geopolitischen Umstände und den unklaren wirtschaftlichen Kurs die Investitionen behindern und somit den Weg zu einem nachhaltigen Wachstum versperren.
Insgesamt lässt sich festhalten, dass die deutsche Industrie vor einer ernsthaften Krise steht, die weitreichende Folgen für die Beschäftigung und die wirtschaftliche Stabilität haben könnte, wenn keine nennenswerten Veränderungen eintreten. Die Herausforderungen sind vielfältig, und die Zeit drängt für Unternehmen und Politik, angemessene Lösungen zu finden.