Der Fall des Messer-Terroristen von Solingen hat erneut die Problematik der misslungenen Abschiebungen in Deutschland ins Rampenlicht gerückt. Issa al Hasan, ein 26-jähriger Syrer, der vergangenes Jahr nach Bulgarien hätte abgeschoben werden sollen, blieb trotz des negativen Asylbescheides in Deutschland und verübte in Solingen eine schreckliche Tat. Dies ist kein Einzelfall, wie aktuelle Regierungszahlen belegen.
Issa al Hasan kam 2022 aus Syrien in die EU und stellte in Deutschland einen Asylantrag. Trotz der Tatsache, dass 70.976 Syrer im Jahr 2022 Asylerstanträge in Deutschland stellten und viele hiervon subsidiären Schutz erhielten, wurde al Hasans Antrag aufgrund seiner Einreise über Bulgarien abgelehnt. Gemäß den Dublin-Regeln hätte er seinen Asylantrag in Bulgarien stellen müssen, was ihn in Deutschland ausreisepflichtig machte. Doch statt wie vorgesehen abgeschoben zu werden, konnte al Hasan im Land bleiben.
Abschiebungen bleiben die Ausnahme
Von den 10.340 ausreisepflichtigen Syrern im Jahr 2023 wurden lediglich 829 tatsächlich abgeschoben. Dieser niedrige Anteil spiegelt ein grundsätzliches Problem wider: Ende 2023 waren insgesamt 242.642 Personen in Deutschland ausreisepflichtig, darunter viele aus dem Irak, Afghanistan, der Türkei und Russland. Besonders alarmierend ist, dass 82.937 dieser Personen bereits mehr als sechs Jahre im Land verweilten, obwohl sie ausreisen müssten. Weitere 44.178 sind vier bis sechs Jahre im Land und 40.810 zwischen zwei und vier Jahren.
Die Schwierigkeiten bei der Durchführung von Abschiebungen sind nicht nur bei Syrien zu verzeichnen. Insbesondere die Rückführungen nach Bulgarien, dem Land, über das al Hasan einst in die EU einreiste, sind problematisch. Im Jahr 2023 wurden nur 3,5 Prozent der angeordneten Rückführungen nach Bulgarien tatsächlich umgesetzt. Von 28 geplanten Rückführungen nach Bulgarien gelangte nur eine Person wieder zurück.
Hindernisse und Rückkehrer
Die Zahlen verdeutlichen auch ein weiteres Problem: Selbst abgeschobene Personen kehren häufig nach Deutschland zurück. Zwischen Januar und November 2023 reisten insgesamt 4.122 zuvor abgeschobene Ausländer erneut ein, davon 2.106 trotz eines Wiedereinreiseverbots.
Insgesamt wurden 2023 nur 5.053 Personen in jene EU-Staaten zurückgeführt, in denen sie ursprünglich europäischen Boden betraten, darunter Länder wie Bulgarien, Österreich, Frankreich und Spanien. Diese geringe Zahl unterstreicht die Schwierigkeiten und Ineffizienzen im aktuellen Abschiebesystem.
Ein bewährtes Problem
Der Fall von Issa al Hasan zeigt exemplarisch die Schwächen des deutschen Abschiebesystems. Während al Hasan einer von vielen Ausreisepflichtigen war, denen der Verbleib im Land gelang, wird die Situation durch unzureichende Rückführungen und das Phänomen der Wiedereinreisen weiter verschärft. Die Problematik der unzureichenden Abschiebungen erfordert dringend eine effizientere und nachhaltigere Lösung, um künftige Vorfälle wie in Solingen zu verhindern.
Historische Parallelen
Ein Blick in die jüngere Geschichte zeigt, dass Deutschland schon einmal mit vergleichbaren Herausforderungen konfrontiert war. In den 1990er Jahren, nach dem Zerfall des Ostblocks, erlebte das Land eine massive Zuwanderungswelle aus Osteuropa. Damals mussten die deutschen Behörden ebenfalls schnell auf die neue Lage reagieren und entsprechende Asyl- und Abschieberegelungen anpassen.
Die Herausforderungen des Jugoslawienkriegs
Ein besonders markantes Beispiel ist der Jugoslawienkrieg in den 1990er Jahren. In dieser Zeit flüchteten viele Menschen aus den Kriegsgebieten nach Deutschland. Auch hier stießen die deutschen Behörden auf erhebliche Schwierigkeiten bei der Bearbeitung der Asylanträge und der Rückführung abgelehnter Asylbewerber. Die Situation ähnelte der heutigen in mancher Hinsicht: Die Bürokratie war überfordert, und viele abgelehnte Bewerber konnten aufgrund mangelnder Kapazitäten oder rechtlicher Hürden nicht zeitnah abgeschoben werden.
Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Während beide Situationen gemein haben, dass die Behörden angesichts hoher Zuwanderungszahlen überfordert waren, gibt es auch wichtige Unterschiede. Heute sind die Herausforderungen komplexer, da die EU-weiten Regelungen – wie die Dublin-Verordnung – hinzukommen, die einen koordinierten Ansatz erfordern. Zudem spielt die öffentliche Meinung eine größere Rolle, was die Durchführbarkeit und Akzeptanz von Abschiebungen betrifft. Quellen: bpb.de, tagesschau.de
Rückführungsbilanz der EU-Länder
Laut aktuellen Daten von Eurostat und der Europäischen Kommission gibt es erhebliche Unterschiede in der Rückführungsbilanz der EU-Länder. Während einige Länder, wie etwa Griechenland oder Italien, eine relativ hohe Rückführungsquote aufweisen, haben andere Länder wie Deutschland und Frankreich niedrigere Quoten.
Probleme beim Dublin-Verfahren
Ein wesentlicher Grund für diese Varianz liegt im Dublin-Verfahren, das im Kern besagt, dass das EU-Land, in dem ein Flüchtling zuerst einreist, für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig ist. Dieses System ist jedoch umstritten und wird häufig als ineffektiv kritisiert, da es vor allem Länder an den EU-Außengrenzen belastet und zu unterschiedlichen Rückführungsquoten führt. Quellen: consilium.europa.eu, ec.europa.eu
Zahlen und Daten
Kategorie | Zahl |
---|---|
Syrer mit Asylerstantrag 2022 | 70.976 |
Vollziehbar ausreisepflichtige Syrer Ende 2023 | 10.340 |
Abgeschobene Syrer 2023 | 829 |
Gesamtanzahl ausreisepflichtiger Personen Ende 2023 | 242.642 |
Abgeschobene Personen nach Bulgarien 2023 | 3,5 % der 28 beschlossenen Rückführungen |
Wiedereinreisen erfolgreicher Abgeschobener (Jan-Nov 2023) | 4.122 |
Diese Zahlen verdeutlichen, wie groß die Diskrepanz zwischen geplanten und tatsächlich durchgeführten Abschiebungen ist und wie viele abgeschobene Personen wieder ins Land zurückkehren. Quellen: destatis.de, bamf.de