In der kleinen thüringischen Gemeinde Niederbösa haben die jüngsten Wahlen für Aufsehen gesorgt. Dort hat die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD) bei den Stimmen für den Landtag ein Rekordhoch erreicht. Mit 59,4 Prozent der Stimmen übertrumpfen sie alle anderen Parteien bei weitem. Die politische Lage in dieser Region wirft viele Fragen auf, insbesondere hinsichtlich der Gründe, warum eine solche Zustimmung für eine als extremistisch geltende Partei erfolgt.
Niederbösa selbst ist ein beschauliches Dorf, idyllisch in der hügeligen Landschaft Thüringens gelegen und nur eine Dreiviertelstunde Autofahrt von Erfurt entfernt. Die Gemeinde hat lediglich 119 Einwohner, von denen 98 wahlberechtigt sind. Die Wahlbeteiligung spiegelt eine gewisse politische Isolation wider, da niemand für die Grünen oder nur wenige für die anderen etablierten Parteien stimmte – stattdessen entschieden sich 38 Wähler für die AfD.
Der ehrenamtliche Bürgermeister Maik Steinacker
Maik Steinacker, der ehrenamtliche Bürgermeister der Gemeinde, zeigt sich perplex über diese Wahlentscheidung. Er beschreibt die Dorfgemeinschaft als gut integriert, mit aktiven Vereinen, darunter sportliche und kulturelle Institutionen. „Warum haben die Leute für die AfD gestimmt? Das kann ich mir nicht richtig erklären“, sagt Steinacker. Bisher führte die AfD niemals einen Wahlkampf vor Ort und dennoch schnitt der Direktkandidat dort besser ab als die renommierteren Mitbewerber.
Unzufriedenheit als Motiv für Protestwahl
Steinacker vermutet, dass die Wahlentscheidung die Unzufriedenheit der Bürger widerspiegelt. Viele Menschen in der Region empfinden soziale und wirtschaftliche Herausforderungen—wie die fehlende Anbindung an das Verkehrsnetz oder die abnehmende Anzahl von Ärzten. „Der nächste Arzt ist 30 Kilometer entfernt. Die Menschen sind frustriert“, so Steinacker. Diese Unzufriedenheit könnte sich zum Ausdruck in einer Protestwahl wandeln, die in der Realität keine klare politische Aussage trifft, sondern einen Schrei nach Gehör und Veränderung darstellt.
Niederbösa ist ein Ort, an dem sich Politik scheinbar nicht wirklich bemerkbar macht. Der Kontakt zu etablierten politischen Akteuren fehlt fast gänzlich, und das führt zur höchsten Uneinigkeit. „Hier sprechen die Leute kaum noch über Politik—im Frauentreff backen alle Kuchen, aber über die politische Situation reden wir nicht“, berichtet eine BSW-Wählerin, Corina Schlicht. Sie äußert ihre Ängste über die politische Entwicklung und die Möglichkeit, dass die AfD an der Regierung beteiligt wird.
Corina Schlicht im Gespräch mit dem Bürgermeister
Des Weiteren offenbart sich bei diesem Gespräch auch der soziale Druck in der kleinen Gemeinde. Schlicht erinnert sich an Konflikte mit Nachbarn, die aufgrund unterschiedlicher politischer Ansichten entstanden sind. Diese Spannungen verdeutlichen, wie tief der Graben zwischen den politischen Überzeugungen der Dorfbewohner verläuft und wie sehr politische Entscheidungen das soziale Gefüge belasten können.
Zwiespältige Ansichten zum Thema AfD
Ein weiterer Wähler, Ronny Wächtler, sieht die AfD als eine reguläre Partei und erachtet die Forderungen nach Remigration als verständlich. Trotz der extreme politische Ansichten des Parteivorsitzenden Björn Höcke sieht er kein Problem darin, die AfD zu wählen. „Für mich ist das alles normal“, sagt er und erklärt seine Sicht, dass einige politische Strömungen im Land einfach nicht mehr vertretbar seien.
Die Dorfgemeinschaft steht in einem ständigen Spannungsfeld: Die politische Haltung wird sowohl deutlich als auch verschwiegen, je nach dem, mit wem gesprochen wird. Steinacker selbst ist kein Anhänger der AfD und nennt die aktuellen politischen Strömungen untragbar. Dennoch zeigt sich, dass viele Wähler das Gefühl haben, dass niemand ihre Stimmen zählt, was sie dazu veranlasst, gegen das Establishment zu protestieren.
Zusammengefasst zeigt sich in Niederbösa, wie politisches desinteresse und gesellschaftliche Probleme zusammenwirken und bei den Bürgern einen Nährboden für extreme Wahlentscheidungen schaffen können. Das Dorf steht symptomatisch für eine größeren Trend in Deutschland: Wo es an Mitbestimmung und direkter politische Beteiligung fehlt, da kommen unkonventionelle Stimmen und eine extreme politische Orientierung in den Vordergrund.
Obwohl sich die Menschen in Niederbösa nicht direkt mit politischen Themen auseinandersetzen wollen, so sind sie trotzdem unzufrieden mit den aktuellen Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert werden. Der Krieg in der Ukraine, der Mangel an sozialer Infrastruktur, und der wachsende Einfluss radikaler Ansichten—all das sind Punkte, die zur aktuellen politischen Stimmung beitragen. Die Wahl in Niederbösa ist mehr als nur ein Wahlergebnis; sie ist ein Spiegelbild der Sorgen und Nöte, die in der ländlichen Umgebung auf vielen Ebenen vorhanden sind.