Der öffentliche Streit um die Rentenreform und die Wortwahl von Bundeskanzler Olaf Scholz erreichen neue Dimensionen. Ökonom Stefan Kooths, der Vizepräsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), hat Scholz in scharfer Form kritisiert. Die Auseinandersetzung begann, als Scholz in einem Interview mit dem „Tagesspiegel“ Bedenken zurückwies, die durch das geplante Rentenpaket II entstehen könnten.
Scholz äußerte, dass die Kritik an dem Paket von einer „ausschließlich Establishment-orientierten Expertenlandschaft“ stammt und stellte die berufliche Realität vieler Kritiker in Frage. „Diese Akademiker“ hätten oft selbst nie die notwendigen 45 Beitragsjahre erreicht, um von der abschlagsfreien Rente zu profitieren, was seiner Meinung nach einen „fahlen Beigeschmack“ hat.
Scholz‘ Wortwahl und die Reaktionen
Kooths konterte Scholz‘ Aussagen und betonte, dass der Vorwurf, die Kritiker gehörten einem Establishment an, lediglich zu einer further Polarisierung führen würde. In einem Gespräch mit t-online erklärte er, dass solche Diffamierungen unklug seien und nicht zur Lösung der Probleme beitragen könnten.
Die Kritik am Rentenpaket II selbst ist unmissverständlich. Kooths bezeichnete das Vorhaben als verwaltenden Ansatz, der die Lasten unverhältnismäßig stark auf die derzeit aktiven Versicherten abwälze. Er ist der Ansicht, dass die Einführung eines sogenannten Generationenkapitals, das eine Aktienrente umfassen soll, daran nichts ändern würde, da es keine direkte Verbindung zur Rentenversicherung habe.
Die Ampelregierung hat sich im Rentenpaket II darauf geeinigt, das Rentenniveau bis 2039 nicht unter 48 Prozent eines durchschnittlichen Lohns sinken zu lassen. Dieser Punkt stellt einen zentralen Bestandteil der Reform dar und stößt auf gemischte Reaktionen. Kooths kritisiert zudem, dass der Nachhaltigkeitsfaktor, der Teil der Rentenanpassungsformel ist, außer Kraft gesetzt werden soll. Dieser Faktor hat eine entscheidende Rolle, um sicherzustellen, dass die Rentenfinanzen über lange Zeit tragfähig bleiben.
Nach Ansicht von Kooths würde die Rücknahme des Nachhaltigkeitsfaktors dazu führen, dass die Beitragssätze angehoben werden müssten, was in der Realität den aktiven Versicherten wie eine Steuer erscheinen und Arbeitsanreize verringern könnte.
Die Auswirkungen auf den Wettbewerb um Talente
Kooths warnt auch vor den weitreichenden Auswirkungen, die diese Änderungen auf den Wettbewerb um qualifizierte Zuwanderer haben könnten. Er bringt die Besorgnis zum Ausdruck, dass Deutschland an Attraktivität verliert, und dass Fachkräfte nicht in das Land kommen, um die Rentenansprüche der Ruheständler zu finanzierten, sondern um hier ein neues Leben aufzubauen.
Im Hinblick auf die Rentenreform schlägt Kooths eine Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters vor, gepaart mit verbesserten Erwerbsunfähigkeitsrenten. Dies könnte seiner Meinung nach eine effektivere Stabilisierung des Rentensystems bewirken, ohne die aktiven Beitragszahler überhöht zu belasten.