In Baden-Württemberg steht die Diskussion um den Bürokratieabbau erneut im Fokus. Die Notwendigkeit, die Verwaltung zu straffen und die Abläufe effizienter zu gestalten, ist allgemein anerkannt. Doch der Weg dorthin ist geprägt von Kompromissen und dem Abwägen von Interessen. Vertreter der Kommunalverbände betonen, dass ein Umdenken in der Gesellschaft erforderlich ist.
Gesellschaftliches Umdenken erforderlich
Steffen Jäger, Präsident des baden-württembergischen Gemeindetags, fordert ein neues gesellschaftliches Bewusstsein in Bezug auf Bürokratie. Laut ihm muss die Bevölkerung verstehen, dass ein Abbau bürokratischer Hürden zwangsläufig bedeutet, dass nicht jeder Einzelfall in der gewünschten Weise berücksichtigt werden kann. „Bürokratieabbau ist hilfreich, aber schmerzhaft“, äußerte sich der Präsident des Landkreistags, Joachim Walter, und verdeutlicht damit die Dilemmata, die mit einer Entschlackung der Verfahren verbunden sind.
Kritik an der lauten Minderheit
Ein zentrales Problem sei laut Jäger die Bevorzugung der lauten Minderheit, während die schweigende Mehrheit oft für Veränderungen bereit sei. „Die Leute, die bereit sind, etwas auf sich zu nehmen, müssen belohnt werden“, fordert er. Diese Balance zu finden, stellt für die Politiker eine große Herausforderung dar. Die Kommunalverbände möchten die Menschen dazu ermutigen, an einem transformierenden Prozess mitzuarbeiten, auch wenn der Weg steinig erscheinen mag.
Bürokratie als Hemmnis für Fortschritt
Die überwältigende Bürokratie stellt seit langem ein Hindernis auch für Unternehmen in Baden-Württemberg dar. Dies wurde unter anderem im Oktober 2022 deutlich, als mehrere Verbände in einem Brandbrief Ministerpräsident Winfried Kretschmann auf die lähmenden Auswirkungen der Bürokratie hinwiesen. Dabei wurde auch die Notwendigkeit betont, dass der Bürokratieabbau Chefsache sein müsse, um Fortschritte zu erzielen.
Entlastungsallianz und ihre Herausforderungen
In einer sogenannten Entlastungsallianz wurden seither verschiedene Vorschläge entwickelt, um Bürokratie abzubauen. Doch die Verbände zeigen sich mit den Ergebnissen unzufrieden. Ein jüngst veröffentlichtes 100-Punkte-Paket wird als unzureichend betrachtet, um den notwendigen Einfluss auf die bürokratischen Hürden zu nehmen. Die Befürchtungen unter den Verbänden sind, dass keine spürbare Entlastung erreicht werden kann, wenn nicht konsequent gehandelt wird.
Entscheidungen für das Wohl der Gemeinschaft
Ein weiterer Aspekt, den Walter anspricht, ist die Frage der Bürgerentscheide. Diese könnten, so seine Meinung, oft als „Anlegerdemokratie“ missbraucht werden und wichtige Projekte wie den Bau von Kindergärten und Schulen behindern. Hier wird die Frage aufgeworfen, inwieweit individuelle Interessen in einer Gemeinschaft tatsächlich gleichwertig behandelt werden sollten. Wichtige gesellschaftliche Entwicklungen dürften nicht durch Einzelmeinungen blockiert werden.
Der Ruf nach radikaleren Maßnahmen
Die Politiker fordern zudem, dass der Mut zur Veränderung nicht nur in Worten, sondern auch in Taten sichtbar werden muss. Walter merkt an, dass ein tatsächlicher Bürokratieabbau einen Bruch mit der bisherigen Praxis erfordere, die gesetzgeberischen Gestaltungswillen oft nur mehr Bürokratie und nicht weniger geschaffen habe. „Wir müssen vom Klienteldenken wegkommen“, so der Landrat und fordert das Wohl der Gesamtgesellschaft ins Zentrum der politischen Entscheidungen zu stellen.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Bürokratieabbau in Baden-Württemberg ein komplexes Unterfangen ist, das sowohl Mut als auch Konsens erfordert. Die Stimme vieler Bürger muss gehört werden, doch sie müssen bereit sein, auch in gewissen Fragen Zugeständnisse zu machen, um die strukturellen Probleme angehen zu können.
– NAG