In der Stadt Gießen haben Schüler der Ostschule einen bedeutenden Schritt in Richtung Sensibilisierung für das Thema Sterben gemacht. Im Zuge eines innovativen «Letzte Hilfe»-Kurses, der erstmals für Zehntklässler angeboten wurde, hatten die Jugendlichen die Möglichkeit, sich mit den unterschiedlichen Facetten des Sterbeprozesses auseinanderzusetzen.
Bewusstseinsbildung über den Tod
Der Kurs, der in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für diakonische Altenhilfe Gießen und Linden durchgeführt wurde, steht im Kontext einer breiteren gesellschaftlichen Bewegung. Immer mehr Menschen erkennen die Notwendigkeit, sich mit dem Tod als Teil des Lebens zu beschäftigen. Lilli Marie Deisinger, eine 16-jährige Schülerin, äußert sich reflektiert über ihre Erfahrungen: „Nachdem meine Omi gestorben war, hat mich das Thema Tod viel beschäftigt. Ich wollte wissen, ob wir alles richtig gemacht haben an ihrem Lebensende.“ Ihre Worte verdeutlichen, dass die Auseinandersetzung mit Trauer und Verlust nicht nur für ältere Generationen relevant ist.
Praktische Fertigkeiten im Umgang mit Tod und Trauer
Während des vierstündigen Kurses wurden die Themen Sterben als Teil des Lebens, die Bedeutung von Vorsorge und Entscheidungen, das Lindern von Leiden und der Abschluss von Beziehungen aufgegriffen. Juliane Lang von der Gesellschaft für diakonische Altenhilfe erklärte: „Jeder hat schon einmal einen Verlust erlebt, sei es durch den Tod eines geliebten Menschen oder durch Liebeskummer.“ Der Kurs bietet den Jugendlichen nicht nur theoretische Einblicke, sondern auch praktische Tipps, wie sie Angehörigen in schweren Zeiten zur Seite stehen können.
Aufbruch zu einer offenen Gesprächskultur
Ein zentraler Aspekt des Kurses ist es, Hemmungen abzubauen und ein offenes Gespräch über den Tod zu fördern. Der Einsatz eines Schwungtuchs zur Verdeutlichung des Unterstützungsnetzwerks um einen Sterbenden herum verdeutlicht, wie kleine Gesten große Auswirkungen auf das Wohlbefinden des Sterbenden haben können. Lilli Marie Deisinger betont: „Man sieht erstmal nur, was der sterbende Mensch macht. Aber da passiert noch viel mehr.“
Vorsorge und persönliche Wünsche
Ein weiterer wichtiger Themenbereich war die Auseinandersetzung mit eigenen Wünschen und der familiären Kommunikation über Vorsorgeregelungen. Gerontologin Juliane Lang hofft, dass der Kurs „für einen Schneeballeffekt sorgt“, indem Eltern und Kinder in den Dialog über Patientenverfügungen treten. Es ist wichtig, dass auch minderjährige Schüler in diese Gespräche einbezogen werden, um eine bessere Verständigung innerhalb der Familie zu fördern.
Langfristige Perspektive des Projekts
Der Erfolg des «Letzte Hilfe»-Kurses zeigt sich nicht nur in den positiven Rückmeldungen der Schüler, sondern verdeutlicht auch die Notwendigkeit einer langfristigen Implementierung solcher Programme im Schulsystem. Der Kurs wird künftig jährlich im 10. Schuljahr angeboten, wobei Eltern im Vorfeld über die Thematik informiert werden, damit sie entscheiden können, ob ihre Kinder teilnehmen sollten.
Fazit: Eine neue Sicht auf den Tod
Lilli Marie Deisinger resümiert ihre Erfahrungen: „Der Kurs gibt Sicherheit. Ich weiß jetzt, dass wir bei meiner Omi alles richtig gemacht haben.“ Diese Aussage verdeutlicht die positive Wirkung des Kurses auf die emotionale Bewältigung von Trauer. Letztendlich trägt dieser Kurs nicht nur zur Bildung der Schüler in einem sensiblen Themenbereich bei, sondern leistet auch einen bedeutenden Beitrag zu einer offenen und ehrlichen Gesprächskultur über das Sterben in unserer Gesellschaft.
– NAG