Hamburg

Junge Stimmen in Hamburg: Uraufführung von Schlinks ’20. Juli‘

Am 24. August 2024 feierte das Stück "20. Juli" von Bernhard Schlink in den Hamburger Kammerspielen Premier, in dem fünf Abiturienten über die moralischen Dilemmata eines gescheiterten Attentats auf Hitler diskutieren und dadurch aktuelle Fragen zu Engagement und Zivilcourage aufwerfen.

Stand: 24.08.2024 14:01 Uhr

In einem bewegenden Stück, das bei der Eröffnungssaison der Hamburger Kammerspiele zur Uraufführung kam, geht es um eine zentrale Frage: Was wäre, wenn das Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 gelungen wäre? Diese hypothetische Überlegung steht im Mittelpunkt des Werkes „20. Juli“ von Bernhard Schlink, das zur Diskussion über moralische Entscheidungen in Extremsituationen anregt.

Das Stück wird durch die Perspektive von fünf Abiturienten erzählt, die sich in ihrer letzten Geschichtsunterrichtsstunde mit den politischen Realitäten der Vergangenheit auseinandersetzen. Ein zentrales Thema, dass die Schüler auf der Bühne diskutieren, ist der ansteigende Einfluss rechter Parteien in der heutigen Gesellschaft. Während sie die fiktive Diskursfigur Rudolf Peters, einen charismatischen aber gefährlichen Politiker, kennenlernen, reflektieren sie über die Gefahren, die sein Aufstieg mit sich bringt. „37 Prozent für die Rechten. Hätte einer von euch das für möglich gehalten?“, lautet eine der provozierenden Fragen, die das Publikum fesselt.

Ethische Fragen an der Bühne

Die Diskussion über die Moral des Tyrannenmords wird in dem Stück auf eindringliche Weise dargestellt. Sätze wie „Soll man jemanden ermorden, von dem man weiß, dass er Furchtbares anrichten wird?“ werfen ethische Fragen auf, die den Zuschauer direkt betreffen. Diese jungen(e) Schüler kämpfen nicht nur mit der Theorie des Attentats, sondern auch mit der Realität ihrer Entscheidungen und der Konsequenzen, die damit verbunden sind. „Die Geschichte lehrt, dass der Anschlag auf den Tyrannen präventiv erfolgen muss“, wird formuliert. Dies geschieht in einem Kontext, der sowohl zeitlos als auch alarmierend aktuell ist.

Die Bühne wird zum Schauplatz für eine leidenschaftliche und oft emotional aufgeladene Diskussion. Die Darsteller, junge Talente aus der Schauspielschule, bringen authentisches Leben und Nervenkitzel in ihre Rollen. Durch ihre Alltagskleidung und leidenschaftlichen Darbietungen wird der Abend zu einem eindringlichen Erlebnis. Ihr strenger, aber zugleich verletzlicher Ausdruck verleiht dem Stück Tiefe und sorgt dafür, dass das Publikum die Herausforderungen und Ängste dieser Charaktere spürt.

Kritische Reflexion und Gegenwart

Ein durchgehendes Element des Stückes ist die Frage, ob die Schüler tatsächlich den Plan umsetzen werden: „Tun sie’s oder nicht?“ Diese Frage ist jedoch mehr als nur ein dramatisches Element; sie reflektiert die wahrgenommenen Herausforderungen der Gegenwart und das Engagement, das vertreten werden muss, um Veränderungen zu bewirken. Ganz gleich, ob es um historische oder gegenwärtige Kontexte geht, die Thematik bleibt relevant und regt zum Nachdenken an.

Mit dieser Produktion haben die Hamburger Kammerspiele einen eindrucksvollen Start in die Saison ermöglicht. Die Reflexion über die moralischen Dilemmata und Entscheidungen, die mit politischem Engagement verbunden sind, kann direkt auf die heutige Zeit übertragen werden. „20. Juli“ ist nicht nur ein Stück über Geschichte, es ist ein Aufruf zur Auseinandersetzung mit unserer eigenen Verantwortung und der Macht unserer Stimmen in der Gesellschaft.

Dieses Thema im Programm: NDR Kultur | Der Sonnabend | 24.08.2024 | 06:40 Uhr

Die Relevanz von Tyrannenmord in der Geschichte

Die Diskussion über die ethische Vertretbarkeit von Tyrannenmord hat historische Wurzeln, die bis in die Antike zurückreichen. Ein bekanntes Beispiel ist die Ermordung von Julius Caesar im Jahr 44 v. Chr. durch Senatoren, die glaubten, dass sein Einfluss auf das Römische Reich die Freiheit der Bürger bedrohte. Diese Ereignisse stellen die Frage auf, ob die Gewalt als letztes Mittel legitimiert werden kann, um ein größeres Übel zu verhindern. Auch im 20. Jahrhundert gab es ähnliche Überlegungen, insbesondere hinsichtlich der Widerstandsbewegungen gegen Diktatoren.

Im Kontext von Stauffenbergs Attentat auf Hitler zeigt sich ein weiteres Beispiel. Viele der Verschwörer sahen sich in der Pflicht, die bevorstehenden Verbrechen des NS-Regimes zu stoppen. Der historische Versuch, Hitler mittels eines Attentats zu beseitigen, vermittelt das Gefühl der Dringlichkeit, gepaart mit tiefem moralischem Konflikt. Die Frage, ob solche Handlungen gerechtfertigt sind, bleibt auch in der heutigen Zeit von Bedeutung und wird oft in künstlerischen und politischen Diskursen aufgegriffen.

Gesellschaftliche Diskussionen über Engagement und Widerstand

Die Aufführung von Schlinks Werk regt nicht nur zur Reflexion über historische Ereignisse an, sondern spiegelt auch aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen wider. Themen wie Rechtsextremismus und populistische Bewegungen sind nach wie vor von großer Relevanz. Laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung aus dem Jahr 2023 identifizierten 41 Prozent der Befragten die Zunahme von rechtsextremem Gedankengut als ernsthafte Bedrohung für die Demokratie in Deutschland. Solche statistischen Daten verdeutlichen die Notwendigkeit eines engagierten Widerstands gegen intolerante Ideologien.

In Anbetracht dieser Herausforderungen fragen sich viele, wie weit sie im Kampf gegen Unrecht gehen würden. Die Verknüpfung der historischen Fragestellung mit der Gegenwart zeigt, dass die Auseinandersetzung mit Gewissensfragen und moralischen Dilemmata in der Gesellschaft nicht nur von historischer, sondern auch von zeitgenössischer Bedeutung ist. Die Aufarbeitung und das Bewusstsein über die Geschichte ermöglichen es, aktiv zu werden und die Verantwortung für eine demokratische Gesellschaft zu übernehmen.

Künstlerische Verarbeitung des Themas im Theater

Die künstlerische Auseinandersetzung mit Themen wie Tyrannenmord, Widerstand und moralischer Verantwortung hat eine lange Tradition im Theater. Dramatiker wie Bertolt Brecht und Friedrich Dürrenmatt haben sich intensiv mit der Frage des menschlichen Handelns in angespannten politischen Lagen beschäftigt und dabei oft die Zuschauer zum Nachdenken angeregt. Schlinks „20. Juli“ reihe sich in diese Tradition ein und nutzt die Bühne als ein Forum, um komplexe moralische Fragen aufzuwerfen.

Die authentische Darstellung junger Menschen, die sich mit diesen ernsten Themen auseinandersetzen, ermöglicht es dem Publikum, sich emotional zu verbinden und die Dringlichkeit solcher Diskussionen nachzuempfinden. Indem das Theater ein Spiegelbild der Gesellschaft bietet, werden Zuschauer nicht nur unterhalten, sondern auch zur Reflexion ihrer eigenen Werte und Überzeugungen angeregt. Solche Werke können eine wichtige Rolle spielen, um das Engagement junger Menschen für gesellschaftliche Belange zu fördern und aktiv zu gestalten.

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"