Die Realität ist oft grausamer, als man denkt. Stille Schreie, die in den Schatten des gesellschaftlichen Tabus verhallen – das ist das traurige Schicksal vieler Männer und Jungen, die unter sexueller Gewalt gelitten haben. In Hessen gibt es nun einen Hoffnungsschimmer: Der Verein Wildwasser in Gießen bietet als eine von vier Anlaufstellen endlich Hilfe an für die männlichen Betroffenen. Aber das Stigma bleibt: Der starke Mann weint nicht, und Opfer sollen sich nicht zeigen. Ein kühle Wand verarbeitet in der Gesellschaft, die dringend aufgebrochen werden muss.
Die schockierenden Statistiken sprechen eine deutliche Sprache: Forscher schätzen, dass einer von zehn Männern in seinem Leben sexualisierte Gewalt erfährt. „Die Jungen stehen unter immensem Druck, kein Opfer zu sein,“ erläutert Barbara Behnen von Wildwasser, die die Problematik eindrucksvoll beschreibt. Junge Männer, die Gewalt erlebt haben, ersticken oft in ihrem Schmerz, gefangen in der Angst, als „Weichei“ oder „muttersöhnchen“ abgestempelt zu werden. Ein fataler Teufelskreis!
Unterstützung und Aufklärung
Doch der Verein Wildwasser hat sich zum Ziel gesetzt, Licht ins Dunkel zu bringen. „Für viele Jugendliche ist das die Hölle,“ so die eindringlichen Worte von Sozialarbeiterin Emily Köhler. Jungen in schwierigen Situationen erkennen oft nicht einmal, dass sie Misshandlungen erleben. Anzeichen von Gewalt – wie erniedrigende „Scherze“ oder Zwangshandlungen im Freundeskreis – werden bagatellisiert als „burschikoses Benehmen“. Hier setzt Wildwasser an! Sie erweitern nicht nur ihre Beratungsangebote, sondern bieten auch präventive Schulungen an, um den Jugendlichen die Augen zu öffnen: Was ist echte Partnerschaft, wo sind die Grenzen?
Die Lebenserfahrung sieht in diesen Jugendlichen oft Kammerdiener von Klischees, die es zu durchbrechen gilt. Köhler betont, dass in der Beratung immer Empathie gefordert ist: „Ich höre zu und versuche, Gewaltstrukturen zu verstehen.“ Betroffene sollen ermutigt werden, ihre Sorgen zu äußern: „Aua, mir tut was weh, hilf mir mal“. Ein Ansatz, der Hoffnung gibt.
Hessen hat durch eine Initiative im Jahr 2022 die finanziellen Mittel bereitgestellt, um dieses wichtige Projekt voranzubringen. 95.000 Euro pro Jahr für jede der vier Anlaufstellen – darunter auch Wildwasser Gießen. Johannes Höing von der Landeskoordinierungsstelle zeigt sich optimistisch: „Wir wollen die bisher mangelnde Unterstützung für Jungen und Männer verbessern.“ Sensationelle Nachrichten für eine oft übersehende Gruppe!
Doch der Weg ist lang. Vera Geißler von der Landeskoordinierungsstelle warnt: „Die Arbeit muss sich erst noch etablieren.“ Jeder Einzelne, der bereit ist, über seine Erfahrungen zu sprechen, bringt uns einen Schritt weiter. Die Gesellschaft muss endlich anfangen, Männer nicht nur als Täter zu sehen, sondern auch als Opfer. Dazu braucht es starke Männer, die bereit sind, über ihre Gefühle zu sprechen und anderen den Mut geben, dasselbe zu tun.