Der Fall des Kasselers Rainer Hamenstädt, der sich seit mehreren Jahren mit seinen Nachbarn wegen überhängender Bäume beschäftigt, wirft ein Licht auf die Schwierigkeiten und rechtlichen Komplikationen, die in Nachbarschaftsfragen entstehen können. Hamenstädt, mittlerweile über 80 Jahre alt, sieht sich mit einem wachsenden Problem konfrontiert: zwei massive Ebereschen aus dem Grundstück seines Nachbarn, den Vereinigten Wohnstätten, hängen über sein Haus und sorgen für wiederkehrende Sorgen und Kosten.
Diese etwa 20 Meter hohen Bäume stellen für Hamenstädt ein ernsthaftes Ärgernis dar. Im Herbst verursachen sie, indem sie ihr Laub abwerfen, eine ständige Herausforderung für die Abflüsse auf seinem Garagendach. „Es ist eine ständige Wettlauf gegen die Zeit, um die Abflüsse freizuhalten“, berichtet der alte Kasseler. Besonders während heftiger Unwetter, wie dem im Juni 2023, kam es schon zu kleineren Schäden an seiner Garage, verursacht durch herabfallende Äste.
Rechtsstreit um die Ebereschen
Nachdem Hamenstädt in persönlichen Gesprächen mit den Vereinigten Wohnstätten keinen Erfolg hatte, wandte er sich an das Gericht, um zu klären, ob er die störenden Äste selbst zurückschneiden könne. Doch die Antwort, die er erhielt, war wenig ermutigend. Der rechtliche Rat, den er erhielt, war eindeutig: Die Möglichkeit, die Angelegenheit gerichtlich weiter zu verfolgen, könnte ihn in hohe finanzielle Schwierigkeiten bringen, da Gutachten im niedrigen fünfstelligen Bereich nötig wären.
Er erhebt den Vorwurf, dass es sich für ihn wie eine „Art Enteignung“ anfühlt. „Ich habe das Gefühl, dass ich in meiner eigenen Umgebung nicht mehr die Kontrolle habe“, erklärt Hamenstädt. Im Kern dreht sich sein Anliegen um eine zentrale Frage: Gilt die Kasseler Baumschutzsatzung über dem Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH)? Hamenstädt glaubt, dass er gemäß dem BGH-Urteil das recht hat, überragende Äste selbst zu entfernen, ohne die Gesundheit der Bäume zu gefährden. Dies stützt er auf das Selbsthilferecht in Paragraf 910 des Bürgerlichen Gesetzbuchs.
Baumschutzsatzung vs. Nachbarrechte
Die Vereinigten Wohnstätten wiederum berufen sich auf die Kasseler Baumschutzsatzung, die Hamenstädt verbietet, ohne Genehmigung tätig zu werden. Laut dieser Regelung bedarf es für Baumfällungen und sogar für das Beschneiden von Ästen der Zustimmung der Stadt Kassel, insbesondere wenn es sich um geschützte Laubbäume handelt. Der Schutz erstreckt sich auf Bäume mit einem Stammumfang von mehr als 80 Zentimetern in einem Meter Stammhöhe.
Das Umwelt- und Gartenamt hat klargestellt, dass Hamenstädt bei einem Pflegeeinschnitt nur maximal zehn Prozent des Kronenvolumens seiner Nachbarbäume entnehmen kann. Für alles Weitere ist eine Genehmigung erforderlich. Ein Verstoß gegen diese Satzung könnte für die Vereinigten Wohnstätten nicht nur unangenehme Konsequenzen, sondern auch saftige Geldstrafen von bis zu 100.000 Euro nach sich ziehen.
Der Kasseler Anwalt Jürgen Eichel, der sich auf Immobilien- und Nachbarrecht spezialisiert hat, erläutert, dass städtische Baumschutzsatzungen Vorrang vor den nachbarrechtlichen Ansprüchen haben. Dies bedeutet, dass die Rechte individueller Grundstückseigentümer durch die Satzungen eingeschränkt werden können. „Diese Vorschriften gelten für jeden und stellen zulässige Einschränkungen des Eigentums dar“, erklärt Eichel.
Obwohl sich die Vereinigten Wohnstätten auf eine Nachfrage hin nicht äußern wollten, bleibt die Situation für Hamenstädt besorgniserregend und zeigt, wie komplex und frustrierend Nachbarschaftsbeziehungen sein können, insbesondere wenn Regeln und Vorschriften ins Spiel kommen.
Ein abschließender Rat für betroffene Nachbarn könnte sein, sich zunächst an ein Schiedsamt zu wenden, bevor man den Rechtsweg beschreitet. Eine gütliche Einigung ist oft der einfachste und kostengünstigste Weg, um Nachbarschaftskonflikte zu klären.