Ein Jahr nach dem verheerenden Erdbeben in Marokko, das rund 3000 Menschen das Leben kostete, kämpfen viele Überlebende in der Region um den Wiederaufbau ihres Lebens. Das Erdbeben, das am 8. September 2023 die Gegend um Marrakesch erschütterte, hinterließ massive Zerstörung mit rund 60.000 beschädigten Häusern. Die Fortschritte beim Wiederaufbau zeigen sich jedoch als langsamer als erhofft: Bis heute haben lediglich 1000 Familien ihre neuen Domizile fertigstellen können.
Trotz der Ausstellung von mehr als 55.000 Baugenehmigungen durch die Behörden bleiben viele Betroffene in provisorischen Unterkünften. Die Regierung hat die Überlebenden eindringlich aufgefordert, ihren Wiederaufbau zu beschleunigen, um die finanziellen Hilfen vollständig in Anspruch nehmen zu können. Diese finanziellen Unterstützungsmöglichkeiten sind allerdings an spezifische Bedingungen geknüpft, darunter die Beschaffung von Baugenehmigungen und die Erstellung technischer Studien, die von einem zuständigen Bauleiter validiert werden müssen.
Die Realität auf dem Boden
Tiniskt, ein kleiner Ort mit etwa 500 Einwohnern, ist seit dem Erdbeben kaum wiederzuerkennen. Von den einst blühenden Häusern sind nur noch Ruinen übrig. 45 Menschen verloren hier ihr Leben, und die meisten Überlebenden leben nach wie vor in einfachen Zelten, die den harschen klimatischen Bedingungen des kommenden Winters schutzlos ausgeliefert sind. „Die Materialien kommen hauptsächlich aus Marrakesch oder Tahanaout, und die Region hat mit einem akuten Rohstoffmangel zu kämpfen“, berichtete Abdellah Tafala, ein Bauarbeiter der Region.
Der Transport von Baumaterialien gestaltet sich aufgrund der geografischen Gegebenheiten als herausfordernd. Zudem wünschen sich einige Dorfbewohner, ihre neuen Häuser an den Berghängen zu errichten, was die Logistik weiter erschwert. Diese Umstände tragen neben den finanziellen Hürden und dem langsamen Fortschritt des Wiederaufbaus zur Verzweiflung vieler Überlebender bei.
Finanzielle Sorgen und Unterstützung
Yassine Aït Si Mhanned, Bewohner von Tiniskt, schildert die Herausforderungen, die mit den staatlichen Hilfen verbunden sind: „Es gibt ein Problem mit der Unterstützung für diejenigen, die ihre gesamte Existenz verloren haben. Wie sollen sie die erhaltenen Gelder verwenden? Für den Wiederaufbau oder zum Erwerb von Grundstücken?“
Obwohl beinahe 58.000 Überlebende die erste von vier Tranches staatlicher Hilfe, die bis zu 140.000 Dirham (rund 12.500 Franken) betragen kann, erhalten haben, konnten bislang nur 939 Familien die letzte Tranche in Empfang nehmen. Dies wirft die Frage auf, ob die Unterstützung ausreichend ist, um den Betroffenen ein Neuanfang in der unsicheren Zukunft zu ermöglichen.
In der Stadt Moulay Brahim, die vor dem Erdbeben ein beliebtes Ziel für Touristen und Pilger war, bleibt die Erholung schleppend. Die historische Zaouia, ein bedeutendes religiöses Bauwerk, wurde ebenfalls schwer beschädigt. Frauen, die zuvor in diesem Gebäude gearbeitet haben, schildern, wie ihre Lebensgrundlage durch die Zerstörungen geraubt wurde. „Vor dem Erdbeben war ich in der Zaouia beschäftigt, nun habe ich keinerlei Einkommen mehr“, berichtet eine Frau.
Monatliche Unterstützungshilfen des Staates versorgen die Überlebenden mit dem Nötigsten, drohen jedoch zum nächsten Monat auszulaufen. Diese Entwicklungen werfen ein besorgniserregendes Licht auf die ohnehin prekäre Situation der Betroffenen und hinterlassen die Frage, wie viele von ihnen es schaffen werden, ihre Existenz in der postkatastrophalen Realität neu zu gestalten.