In einer Zeit, in der gesellschaftliche Spannungen zunehmen, ist es wichtig, die Errungenschaften unserer demokratischen Strukturen zu würdigen, sagt Ex-Verfassungsrichter Prof. Dr. Peter Michael Huber. Während seines jüngsten Vortrags in Münster ermutigte er die Zuhörer dazu, sich aktiv mit den Herausforderungen der gegenwärtigen politischen Landschaft auseinanderzusetzen.
Demokratische Errungenschaften im Fokus
Huber, der am 14. August im St.-Paulus-Dom zu Münster sprach, bilanzierte die letzten 75 Jahre seit Inkrafttreten des Grundgesetzes. Seiner Meinung nach hat sich die Verfassung in das kollektive Bewusstsein der deutschen Gesellschaft eingeprägt, sodass sie nunmehr als etwas Wertvolles betrachtet wird, das es zu verteidigen gilt. Die Idee, dass Bürgerinnen und Bürger nicht nur von oben nach unten, sondern auch von unten nach oben gesehen werden, hat die Rechtsordnung nachhaltig verändert.
Herausforderungen durch gesellschaftliche Polarisierung
Trotz dieser positiven Betrachtung sieht Huber eine besorgniserregende Entwicklung: Die steigende Polarisierung innerhalb der Gesellschaft könnte das Vertrauen in staatliche Institutionen ernsthaft gefährden. Diese Beobachtung ist besonders bemerkenswert, da Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern auch von grundlegenden Krisen des demokratischen Rechtsstaates verschont geblieben ist.
Ursachen der Polarisierung
Huber identifizierte mehrere Faktoren, die zu dieser Polarisierung führen. Dazu gehört die komplexe Verteilung politischer Zuständigkeiten auf verschiedene Ebenen – von der europäischen bis zur kommunalen. Diese Struktur führt häufig zu einer „kafkaesken“ Erfahrung für Bürgerinnen und Bürger, die sich in einem System mit vielen Akteuren oft nicht mehr zurechtfinden. Der fehlende direkte Ansprechpartner in politischen Fragen schürt bei den Menschen das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden.
Vorschläge zur Stärkung der Demokratie
Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, schlug Huber klare Maßnahmen vor. Dazu zählt eine deutlichere Kompetenzverteilung innerhalb des politischen Systems, die Förderung direkter demokratischer Verfahren sowie eine Stärkung der Rechte individueller Abgeordneter. Diese Schritte sollen sicherstellen, dass Bürgerinnen und Bürger sich besser vertreten und gehört fühlen.
Apell an die Verantwortung der Bürger
Am Ende seines Vortrags rief Huber die Anwesenden dazu auf, aktiv Verantwortung zu übernehmen und die Voraussetzungen für das Funktionieren der Demokratie zu sichern. Sein eindringlicher Appell, dass „wir das Volk“ seien und dass jeder Einzelne gefordert sei, die demokratischen Strukturen zu schützen, fand großen Anklang bei den Zuhörern.
Ein inspirierendes Ereignis
Die Veranstaltung war musikalisch gestaltet von der Pianistin Batia Lorenzen sowie Eckart und Daniel Lorenzen an den Violinen. Solche Diskussionsabende, wie die „DomGedanken“, werden unterstützt von Unternehmen wie Evonik Industries und bieten eine Plattform für die Auseinandersetzung mit Themen, die unsere Gesellschaft betreffen.
Die „DomGedanken“-Reihe hat das Ziel, Gedankenanstöße für die Gestaltung der aktuellen „Zeitenwende“ zu geben. Nächste Woche wird Prof. Aleida Assmann die Frage aufwerfen, ob wir einen neuen Gesellschaftsvertrag benötigen.