Oberhausen

Abschied von Lars Henrik Gass: Ein Blick auf den Boykott gegen Oberhausen

Lars Henrik Gass, der fast 27 Jahre lang die Kurzfilmtage Oberhausen leitete, tritt nach einer beispiellosen Boykottkampagne gegen das Festival aufgrund seiner Solidaritätserklärung mit Israel zurück, was die Herausforderungen von Konformitätsdruck und antidemokratischen Strömungen in der Kulturwelt verdeutlicht.

Nach fast 27 Jahren an der Spitze der Oberhausener Kurzfilmtage zieht Lars Henrik Gass Bilanz. Sein Rücktritt erfolgt im Zuge einer beispiellosen Boykottkampagne, die nach einem Solidaritätsaufruf für Israel ins Rollen kam. Aktivisten nahmen den Festivalleiter ins Visier, was zu einem massiven Rückzug von Filmemachern und Verleihern führte. In einem aufschlussreichen Gespräch erläutert Gass, wie scheinbar anonymisierte Kampagnen von antidemokratischen Gruppen in der Kulturbranche Einsichten und Resignation hervorrufen können.

Der Aufruf zur Solidarität vom 7. Oktober, in Reaktion auf den Terrorangriff der Hamas, war der Zündfunke für diesen polarisierenden Konflikt. Gass erklärt, dass diese Form des Protests nicht einfach abzutun sei. „Die Affektökonomie ist real“, sagt er. Diese Strategie, die durch das gezielte Mobilisieren von Emotionen und Ressentiments Ausdruck findet, macht es leicht, selbst Menschen, die man für vernünftig hielt, in ihren Überzeugungen zu erschüttern. Gass stellt klar, dass diese Kampagnen nicht nur gegen ihn, sondern gegen die universale Kulturauffassung an sich gerichtet sind, für die die Kurzfilmtage stehen.

Die Mechanismen der Boykottkampagne

Wie eine Geisterhand scheinen die Initiatoren dieser Bewegungen anonym zu bleiben. „Ich habe nie herausgefunden, wer hinter dieser Kampagne steckt“, gesteht Gass. Schönfärberisch wirken die Bewegungen, die sich als humanistisch und aufgeschlossen präsentieren. Doch dahinter verbirgt sich ein potenzieller Missbrauch von Ressentiments, um Teilinteressen durchzusetzen. Diese neue Strategie des antiisraelischen Aktivismus erreicht schnell eine breite Öffentlichkeit und mobilisiert sogar die, die sich gewöhnlich gegen Antisemitismus stark machen.

Gass hebt zudem hervor, dass die Oberhausen-Kampagne eine Wendung in der Geschichte der Boykotte darstellt: Sie richtete sich gezielt gegen eine Einzelperson und nicht gegen eine Institution oder ein Event an sich. Dies legt die Mechanismen der sozialen Belohnung und Bestrafung offen. Wer den kulturellen Normen nicht folgt, wird bestraft; wer sie bedient, wird belohnt. „Das nenne ich Konformitätsdruck“, meint Gass und kritisiert die daraus resultierende Intoleranz gegenüber abweichenden Meinungen.

Die Reaktionen waren vielfältig. Selbst im Kulturrat gibt es Bestrebungen, gegen den Antisemitismus vorzugehen. Allerdings sieht Gass die Ansätze als erschreckend ineffektiv an. „Der Antisemitismus ist nicht bildungsresistent“, betont er und verweist auf die Historie und die anhaltenden Herausforderungen, die diese Ideologie mit sich bringt. Seine kritische Haltung trifft mit einer Befürchtung der Resignation in der bürgerlichen Kultur auf, die es versäumt hat, wirksam gegen die Problemstellung vorzugehen.

Zukünftige Herausforderungen und Perspektiven

Wo sieht Gass sich in der Zukunft? Ab Februar wird er die Leitung des neuen Hauses für Film und Medien in Stuttgart übernehmen, einem einzigartigen Kulturbau, der für die Stadtgesellschaft gedacht ist. „Wir nehmen die kulturellen Herausforderungen ernst und bieten einen Raum für kreative Prozesse“, erklärt Gass. Dieses neue Projekt, „Stuttgart 31“, soll Brücken zu verschiedenen Medien und kulturellen Disziplinen schlagen. Ziel ist es, ein aktives Zentrum der medialen Präsenz zu schaffen. Trotzdem bleibt die Frage im Raum, wie man angesichts des zunehmenden Drucks in der Kulturlandschaft neue Ansätze finden kann, um sich sowohl gegen Antisemitismus als auch gegen andere diskriminierende Strömungen zur Wehr zu setzen.

Lars Henrik Gass‘ Rückkehr in die Kulturwelt steht symbolisch für die Herausforderungen, vor denen die bürgerliche Mitte aktuell steht. Der Widerstand gegen intolerante Strömungen in der Kultur erfordert stets ein sensibles Gespür für die Dynamik in der Gesellschaft. Während der Kampf gegen Diskriminierung immer relevanter bleibt, ist es unabdingbar, Räume zu schaffen, wo Kunst und menschliche Würde in Einklang stehen. Die Zeit, die Gass in Oberhausen verbrachte, wird als prägender Moment in die Geschichte des Festivals eingehen – ein Beispiel dafür, wie sich Kunst und Gesellschaft gegenseitig beeinflussen.

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