Am 20. August 2024 trat das ukrainische Parlament mit dem Erlass eines neuen Gesetzes in Erscheinung, das weitreichende Befugnisse zur Regulierung religiöser Organisationen mit sich bringt. Unter dem Titel „Über den Schutz der Verfassungsordnung auf dem Feld religiöser Organisationen“ zielt das Gesetz vor allem auf jene Gemeinschaften, welche Verbindungen zu einem Land unterhalten, das derzeit gegen die Ukraine kriegerisch agiert. In diesem Kontext stehen insbesondere die Ukrainische Orthodoxe Kirche (UOK) und ihr kompliziertes Verhältnis zur Russischen Orthodoxen Kirche (ROK) im Fokus.
Dieses Gesetz eröffnet gegebene rechtliche Möglichkeiten, um Organisationen zu verbieten, die als potentielle Bedrohung für die nationale Sicherheit wahrgenommen werden. Da die UOK traditionell eng mit Moskau verbunden ist, wird ihre Rolle im aktuellen geopolitischen Konflikt besonders kritisch betrachtet. Auch wenn das Gesetz theoretisch auf alle religiösen Organisationen anwendbar ist, ist den meisten Beobachtern klar, dass die UOK die Hauptzielscheibe darstellt.
Der Weg zur Umsetzung des Gesetzes
Der Prozess zur Implementierung des Gesetzentwurfs wird voraussichtlich etwa neun Monate in Anspruch nehmen. Diese Frist wird als Schonfrist für die UOK gesehen, um ihre Verbindungen zu Moskau zu überdenken und gegebenenfalls abzubrechen. Eine eigens eingesetzte Kommission aus Religionswissenschaftlern und Fachleuten soll im Verdachtsfall die Verbindungen zur ROK prüfen und eine Empfehlung für mögliche rechtliche Schritte geben.
Wichtig hierbei ist, dass zunächst ein Verdachtsfall angezeigt werden muss, bevor die unabhängige Kommission aktiv wird. Während dieses Verfahrens sollen alle nötigen Dokumente gesammelt werden, um die Verbindungen zur ROK zu belegen oder zu entkräften. Sollte ein Verstoß nachgewiesen werden, hat die UOK einen Monat Zeit, um diesen zu beheben, bevor es zu weiteren rechtlichen Schritten kommen könnte.
Unterstützung für das Gesetz
Die Verschärfung der Religionspolitik findet Unterstützung bei anderen religiösen Gemeinschaften in der Ukraine, insbesondere vom Allukrainischen Rat der Kirchen und religiösen Organisationen. Dieser repräsentiert etwa 90 Prozent aller in der Ukraine bestehenden Religionsgemeinschaften. Bemerkenswert ist, dass die UOK, als Gründungsmitglied des Rates, bei den entscheidenden Beratungen nicht eingeladen wurde, was die gespannte Sichtweise der anderen Religionsgemeinschaften auf die orthodoxe Kirche unterstreicht.
Die religiöse Landschaft in der Ukraine ist äußerst vielfältig, und viele Mitglieder der Bevölkerung fühlen sich unterschiedlichen Glaubensrichtungen zugehörig. Während die orthodoxe Kirche vor dem Ukrainekonflikt bedeutende Zahlen vorweisen konnte, ist die öffentliche Wahrnehmung heute stark gespalten. Zahlreiche Gläubige haben sich seit Beginn des Krieges von der UOK abgewandt, und die Organisation sieht sich nun dem Druck gegenüber, sich endgültig von ihren Moskauer Wurzeln zu lösen.
Die UOK, die rechtlich nicht als autokephal angesehen wird, steht vor einem Dilemma. Auch wenn sie versucht, sich von Moskau zu distanzieren, bleibt das Streben nach Autonomie ein sensibler Punkt, insbesondere im Hinblick auf ihre religiöse Identität und die Pflicht, den orthodoxen Glauben aufrechtzuerhalten. Es bleibt abzuwarten, ob und wie sie auf die gesellschaftlichen Spannungen reagieren wird, die das neue Gesetz verstärken könnte.
Die Reaktionen der Gläubigen
Die Reaktionen innerhalb der Gemeinde sind gemischt: Einige Gläubige fühlen sich mit der UOK stark verbunden und werden ihr unabhängig von der aktuellen Lage die Treue halten, während andere möglicherweise den Anschluss an die Orthodoxe Kirche der Ukraine (OKU) suchen. Diese Abwanderung könnte die UOK weiter schwächen und ihre Position innerhalb der ukrainischen Religionslandschaft riskieren.
In Deutschland haben Theologiestudenten der UOK klar gemacht, dass sie nicht die Absicht haben, zu einer anderen Religionsgemeinschaft zu wechseln. Sie glauben, dass Verbote die Spannungen in der Gesellschaft eher verschärfen denn lösen würden und befürchten ebenfalls eine Stigmatisierung. Viele von ihnen empfinden die gegenwärtige Situation als äußerst ungerecht, da diese nicht ihrer patriotischen Haltung zur Ukraine entspricht.
Eine Verlagerung der UOK in den Untergrund könnte die Spannungen innerhalb der ukrainischen Gesellschaft erhöhen und ein potenzielles Problem schaffen, das nicht gelöst, sondern verlagert wird. Das Spannungsfeld zwischen der Notwendigkeit, sich von Moskau abzugrenzen, und der Loyalität zur eigenen Glaubensgemeinschaft stellt die UOK vor große Herausforderungen.
Die Auswirkungen des neuen Gesetzes auf die Zukunft der UOK
Die zukünftigen Entwicklungen im Kontext des neuen Gesetzes und der Lage der UOK bleiben ungewiss. Wichtige Fragen sind etwa, ob die UOK tatsächlich die notwendigen Schritte unternehmen wird, um ihre nationale Position zu stärken, oder ob die bestehenden Verbindungen zu Moskau möglicherweise langfristig ihre Überlebenschancen gefährden. Die ukrainischen Behörden müssen eine Balance finden zwischen der Notwendigkeit, die nationale Sicherheit zu wahren, und den Rechten der Minderheiten, die in dieser komplexen Religionslandschaft vertreten sind. Die eingeführten Regelungen könnten weitreichende Folgen für die religiöse Vielfalt in der Ukraine haben und die Beziehung zwischen staatlicher Macht und religiöser Freiheit weiter belasten.
Die rechtlichen Rahmenbedingungen in der Ukraine bieten sowohl Herausforderungen als auch Möglichkeiten im Umgang mit religiösen Organisationen. Das neue Gesetz, das am 20. August 2024 verabschiedet wurde, verdeutlicht die Spannungen zwischen staatlicher Autorität und religiösem Pluralismus. Diese Spannungen sind nicht neu und können durch einen Blick auf die Vergangenheit besser verstanden werden.
In der Ukraine gab es historisch betrachtet immer wieder erhebliche Konflikte zwischen staatlicher Kontrolle und religiöser Unabhängigkeit. Ein Beispiel hierfür ist die Zeit unter der Sowjetunion, als religiöse Aktivitäten stark eingeschränkt und viele Kirchen geschlossen wurden. Der Zusammenbruch der Sowjetunion führte zwar zu einer Wiederbelebung der Religionsfreiheit, jedoch blieben die Spannungen zwischen verschiedenen Konfessionen und dem Staat weiterhin bestehen, insbesondere was die Legitimität von religiösen Autoritäten anbelangt.
Ein weiterer historischer Bezugspunkt könnte die Orthodoxe Kirche in Rom oder die Reformen innerhalb der katholischen Kirche in Europa sein. Während des 16. und 17. Jahrhunderts sahen sich viele Kirchen von den politischen Mächten bedrängt und mussten sich entweder anpassen oder für ihre Bewegungen kämpfen. In einem ähnlichen Licht könnte man die Situation der UOK heute betrachten, die sich zwischen Tradition und dem Bedarf nach Anpassung an aktuelle politische Umstände befindet.
Polarisierung in der Gesellschaft
Die gesellschaftliche und politische Landschaft in der Ukraine ist derzeit stark polarisiert. Der schwelende Konflikt zwischen pro-westlichen und pro-russischen Einstellungen beeinflusst nicht nur die politische Bühne, sondern auch die Religion. In den letzten Jahren haben viele Menschen, vor allem nach dem Beginn des Krieges in 2014, ihre religiösen Zugehörigkeiten und Überzeugungen überdacht. Dies wird durch aktuelle Umfragen unterstützt, laut denen viele Ukrainer ihre Loyalität zur UOK in Frage stellen, währendelbe zur OKU überwechseln.
Ein Ergebnis dieser polarisierenden Dynamik ist, dass viele ukrainische Bürger ein hohes Maß an Skepsis gegenüber der UOK hegen, die oft mit der Politik Russlands assoziiert wird. Umgekehrt sehen viele Anhänger der UOK sich selbst als ukrainische Patrioten, was zu einer inneren Zerrissenheit führt. Die Unterstützung für das neue Gesetz spiegelt dieses Dilemma wider, denn während der Staat versucht, religiöse Organisationen zu regulieren, drängt die Gesellschaft auf eine klare Distanzierung von pro-russischen Einflüssen.
In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig, die Stimme der Zivilgesellschaft zu erwähnen, die zunehmend aktiv wird, um für religiöse Diversität und Pluralismus einzutreten. Diese Entwicklung könnte langfristig dazu führen, dass das Verhältnis zwischen Staat und Religion in der Ukraine neu definiert wird. Zudem bleibt abzuwarten, wie die UOK auf den Druck reagiert und ob es interne Diskussionen über ihren Kurs hinsichtlich der Anerkennung und Trennung von Moscow geben wird.
Statistische Einblicke in den religiösen Kontext
Um die Komplexität der religiösen Landschaft in der Ukraine zu verstehen, können einige Statistiken herangezogen werden. Laut dem Wahltaktik-Institut in Kiew gaben 2022 25 % der Befragten an, sich mit der Ukrainischen Orthodoxen Kirche zu identifizieren, während 30 % der Menschen angaben, Anhänger der Orthodoxen Kirche der Ukraine zu sein. Die restlichen 45 % verteilten sich auf andere Religionsgemeinschaften wie katholische und protestantische Kirchen, sowie verschiedene evangelikale Gruppen.
Diese Zahlen verdeutlichen die Herausforderung, vor der die UOK steht, insbesondere in Anbetracht ihrer Verluste an Anhängerschaft seit der Eskalation des Konflikts. Die Tendenz, denselben Weg wie viele ihrer Gemeinden zu gehen, könnte zur Vergrößerung der Kluft zwischen den Anhängern verschiedener Kirchen führen. Die Möglichkeit eines schrittweisen Verlustes an Einfluss könnte auch weitreichende Folgen für die Verteilung des religiösen und kulturellen Einflusses in der Ukraine haben.
Zusamengefasst lässt sich sagen, dass die gegenwärtige wiederkehrende Auseinandersetzung um die Religionsfreiheit in der Ukraine in einen breiteren historischen und gesellschaftlichen Kontext eingeordnet werden muss, um die Dynamiken besser zu verstehen, die das heutige religiöse Leben prägen.