Flüchtlingsministerin Josefine Paul von den Grünen betrat mit sichtlicher Anspannung den Raum, als sie die ersten öffentlichen Worte zum Terrorakt von Solingen äußerte. Dabei hob sie die Verantwortung der nordrhein-westfälischen Behörden hervor, wobei sie betonte, dass Fälle wie der des Terrorverdächtigen Issa Al H. keine Seltenheit seien.
Die Ministerin erläuterte, dass der Fall bis Freitagabend lediglich einer von vielen war, da Missstände im System immer wieder dazu führten, dass Abschiebungen und Überstellungen scheitern. Die Fälle kommen „regelhaft, im Grunde genommen – überall in Deutschland“ vor, erklärte sie.
Probleme bei der Überstellung
Ursprünglich sollte der Syrer Issa Al H. am 5. Juni 2023 nach Bulgarien abgeschoben werden, das für sein Asylverfahren zuständig war. Doch mangelnde Flugmöglichkeiten stellten eine große Hürde dar. Laut Paul können aus ganz Deutschland pro Tag höchstens zehn Menschen nach Bulgarien gebracht werden. Als Mitarbeiter der Zentralen Ausländerbehörde (ZAB) in Bielefeld den Mann mitten in der Nacht abholen wollten, war er nicht auffindbar. Er hätte sich theoretisch im angrenzenden Zimmer des Flüchtlingsheims aufhalten können, doch das Nachschauen war gesetzlich nicht erlaubt – eine Bestimmung, die sich inzwischen geändert hat.
Der Gesuchte kehrte am 6. Juni wieder zurück, genauso wie er auch am 4. Juni anwesend war. Aufgrund dieser Tatsache traten deutliche Nachlässigkeiten zu Tage. Die Unterkunft meldete das Wiederauftauchen des Syrers nicht der Zentralen Ausländerbehörde – eine Unterlassung, die Paul als „Versäumnis“ bezeichnete, doch gab es keine Vorschrift, dies zu melden.
Zukünftige Maßnahmen und Systemkritik
Die Ausländerbehörde unternahm keinen Versuch, einen weiteren Überstellungsflug zu buchen, eine Praxis, die Paul als „gelebte Praxis in den allermeisten Fällen“ beschrieb. Trotz allem gab es auch hier keine Verpflichtung. Die Behörde hatte sich wohl keine Hoffnungen auf einen passenden Flug gemacht, da es angesichts der geltenden Überstellungsfrist bis zum 20. August 2023 reguläre Flugtermine erst später gegeben hätte.
In Zukunft sollen die Zentralen Ausländerbehörden nach einem gescheiterten Abschiebeversuch sofort neue Flüge veranlassen, wie Paul erklärte. Zudem müssen die Flüchtlingsheime verpflichtend melden, wenn Abschiebekandidaten wieder auftauchen. Auch die behördlichen Zugriffe auf die Anwesenheitslisten der Unterkünfte sollen erleichtert werden, um entsprechende Maßnahmen planen zu können.
Paul forderte Systemänderungen und fragte, warum es keine Land-Überstellungen oder Charterflüge gebe. Einer von zehn bis 15 Prozent aller Überstellungen im Rahmen des Dublin-Verfahrens sei nicht zufriedenstellend.
Politische Spannungen und Kritik
Für die Ministerin hätte der Auftritt eine Art Befreiungsschlag darstellen sollen, nachdem ihr tagelanges Schweigen zu heftiger Kritik geführt hatte. Am Samstag, als Entsetzen und Empörung über die Bluttat laut wurden, schwieg sie. Erst am späten Montagnachmittag versprach sie in einer langen Stellungnahme eine lückenlose Aufklärung des Vorfalls, nachdem auch Innenminister Herbert Reul und Ministerpräsident Hendrik Wüst sie öffentlich zur Klärung aufgefordert hatten.
Paul erklärte, dass man sofort mit den Nachforschungen begonnen habe, um zu verstehen, was geschehen sei. Wer letztlich die politische Verantwortung tragen werde, sei noch offen, da die Aufklärung des Sachverhalts noch nicht abgeschlossen sei.
Das Krisenmanagement nach der Tat von Solingen verdeutlicht die Differenzen in der Asylpolitik zwischen CDU und Grünen in der Landesregierung. Während Paul die Potenziale der Zuwanderung betont und sagt: „Wir brauchen Menschen, die zu uns kommen“, fordert Ministerpräsident Wüst, Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan zu ermöglichen. Diese Spannungen könnten in Zukunft noch brenzlig werden für die schwarz-grüne Koalition.