Mit dem Tag der pflegenden Angehörigen am 8. September wird eine Thematik in den Vordergrund gerückt, die häufig im Schatten anderer gesellschaftlicher Herausforderungen steht: die Pflege von bedürftigen Personen. Der Bundesverband pflegender Angehöriger warnt eindringlich davor, dass die Pflege nicht nur ein individuelles, sondern ein gesamtgesellschaftliches Anliegen darstellen muss. In Anbetracht des Fachkräftemangels in der Pflege, der demografischen Veränderungen und der Überlastung der Betroffenen ist ein Umdenken vonnöten.
Prof. Dr. Notburga Ott, Vorständin des Bundesverbands „wir pflegen e.V.“, bringt es auf den Punkt: Die Verantwortung für die Pflege darf nicht ausschließlich auf die Schultern der Angehörigen abgeladen werden. „Wir fordern eine gesamtgesellschaftliche Debatte über den Stellenwert eines guten und würdevollen Pflegesystems in unserer Gesellschaft“, betont sie und hebt die notwendige Diskussion über die Wertschätzung von Pflege hervor.
Die Herausforderung der Fachkräfte
Die Politik steht vor der Herausforderung, die strukturellen und finanziellen Aspekte der Pflege zu überdenken. Laut Heinrich Stockschlaeder, dem Vorstand des Bundesverbands, muss die Diskussion auch über die Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung hinausgehen. „Es müssen vielmehr Strukturen und Verantwortlichkeiten des Pflegesystems rechtlich und gesellschaftlich neu gedacht werden“, so Stockschlaeder in Bezug auf den Bericht der Bundesregierung zur „Zukunftssicheren Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung“.
Ein Kernproblem ist der Rückgang an professionellen Pflegekräften. Dies führt insbesondere für schwerstpflegebedürftige Menschen zu erheblichen Schwierigkeiten, die notwendige Unterstützung zu erhalten. Die Daten des Verbands „wir pflegen e.V.“ zeigen einen besorgniserregenden Trend: Die Zahl der Menschen, die auf professionelle Pflege angewiesen sind, nimmt zu, während die Verfügbarkeit solcher Dienste abnimmt. Dies bringt viele Angehörige an ihre Grenzen.
Um dieser problematischen Situation zu begegnen, ist ein Netzwerkaufbau von entscheidender Bedeutung. Eine Kombination aus professioneller Pflege, ehrenamtlicher Hilfe und Angeboten aus der Nachbarschaft kann dazu beitragen, die Last der Pflege auf mehrere Schultern zu verteilen. Der Begriff „Caring Communities“ gewinnt damit an Bedeutung. Es geht darum, ein unterstützendes Umfeld zu schaffen, in dem Hilfe angeboten wird und in dem die Pflege nicht mehr alleinige Verantwortung der Angehörigen ist.
Der Verband mahnt zudem an, dass ein Perspektivwechsel notwendig ist: Weg von einer Defizitorientierung, die sich auf die minderwertigen Rahmenbedingungen fokussiert, hin zu einer personenzentrierten Sichtweise. Es ist entscheidend, dass pflegebedürftige Menschen in den Mittelpunkt rücken und die Unterstützung erhalten, die es ihnen erlaubt, ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu führen.
Die Forderungen an die Gesellschaft sind klar: Es bedarf nicht nur einer politisch-finanziellen Neugestaltung, sondern auch einer grundsätzlichen Debatte über den Wert der Pflege. Diese darf nicht im Stillen geführt werden, während Angehörige und Pflegebedürftige weiterhin unter enormem Druck stehen. Die heiße Debatte um die Pflege sollte somit an der Tagesordnung sein und ein zentraler Punkt in der politischen Agenda werden.
In einer Zeit, in der die Gesellschaft älter wird und der Bedarf an Pflege offensichtlich steigt, ist ein Umdenken unabdingbar. Die steigende Zahl an pflegebedürftigen Menschen bei gleichzeitiger Aussicht auf einen Mangel an Fachkräften stellt uns vor eine große Verantwortung. Nur wenn die Fragen der Finanzierung, Infrastruktur und der gesellschaftlichen Wahrnehmung gemeinsam gelöst werden, kann ein angemessenes und würdiges Pflegesystem entstehen.
Die Stimmen der pflegenden Angehörigen und der Pflegebedürftigen müssen gehört werden, damit eine echte Veränderung auf den Weg gebracht wird. Es ist die Pflicht der Gesellschaft, diese Herausforderung gemeinsam zu meistern und ein entsprechendes Fundament für die Pflege der Zukunft zu schaffen.