In Gießen hat sich die juristische Aufarbeitung der Ausschreitungen rund um das Eritrea-Festival, die sich 2023 ereigneten, intensiviert. Etwa ein Jahr nach den Vorfällen zeigt sich, dass die Behörden vor gewaltigen Herausforderungen stehen. Aktuell laufen rund 650 Verfahren, die die Staatsanwaltschaft aufarbeiten muss. Ute Sehlbach-Schellenberg, die stellvertretende Leiterin der Staatsanwaltschaft Gießen, erläutert, dass man alle zwei Tage neue Akten von der Polizei erhält. Dies verdeutlicht die Komplexität der Situation, die Behörden in dieser Region vor neue, unerwartete Aufgaben stellt.
In den ersten Wochen nach den Krawallen wurden bereits etwa 50 Verfahren erfolgreich abgeschlossen. Dabei scheint die Nutzung von moderner Technologie, namentlich Künstlicher Intelligenz (KI), eine Schlüsselrolle zu spielen. Dies hebt Justizminister Christian Heinz bei einem Besuch in der Staatsanwaltschaft hervor. Er unterstreicht, dass KI nicht die Arbeit menschlicher Staatsanwälte ersetzen kann, aber deren Arbeitsalltag erheblich erleichtert. Dank dieser Technologie konnten umfassende Bild- und Videodaten effizient analysiert werden, was entscheidend zur Identifizierung von Hunderte von Beschuldigten beigetragen hat.
Hintergrund der Ausschreitungen
Die Ursprünge der gewalttätigen Ausschreitungen sind in einem anhaltenden inneren Konflikt innerhalb der eritreischen Community zu suchen. Das Ministerium weist darauf hin, dass es bereits 2022 während einer ähnlichen Veranstaltung zu Übergriffen kam, die auf die interne Spaltung zwischen regimefreundlichen und oppositionellen Gruppen zurückzuführen sind. 2022 gab es auf dem Festivalgelände bereits gewalttätige Angriffe, bei denen zahlreiche Personen verletzt wurden und der Sachschaden auf etwa 90.000 Euro geschätzt wurde.
Die Massengewalt, die im Sommer 2023 während des Festivals auftrat, war noch gravierender. Mit rund 1.500 eingesetzten Polizisten verzeichnete Gießen eine militärisch anmutende Präsenz, die die Anwohner besorgt stimmte. Mindestens 26 Polizeibeamte erlitten im Verlauf der Ausschreitungen erhebliche Verletzungen. Der entstandene Sachschaden an Polizeifahrzeugen belief sich allein auf 56.000 Euro.
Die Polizei war während der Krawalle vor Ort und dokumentierte die Geschehnisse mit Videokameras. Diese Aufnahmen sind für die Ermittlungen von ungeheurer Bedeutung, da sie dazu beitragen, die Tatbestände präzise zu rekonstruieren. Justizminister Heinz beschreibt dieses Vorgehen als eine Notwendigkeit angesichts der Schwierigkeiten, Einzelpersonen in einer großen und chaotischen Menschenmenge zu identifizieren.
Der Einsatz von KI ist jedoch nicht nur auf die Identifizierung von Tätern beschränkt. Oberstaatsanwalt Thomas Hauburger spricht von einem paradigmatischen Wandel in der Strafverfolgung. In zahlreichen Ermittlungsverfahren spielen Datenträger eine zunehmend zentrale Rolle. Die schiere Menge an Daten, die produziert wird, erfordert eine zügige und präzise Auswertung, die mit herkömmlichen Methoden kaum zu bewältigen ist.
Das Ministerium betont, dass die Nutzung von Künstlicher Intelligenz in diesen Prozessen eine zukunftsweisende Investition darstellt. „Das macht die Justiz nicht nur schneller, sondern auch effektiver“, so Hauburger. Dies wird als wesentlicher Faktor angesehen, um aktuelle und zukünftige Herausforderungen im Bereich der Kriminalbearbeitung bewältigen zu können.