In der Welt der Religionen und Glaubensgemeinschaften gibt es oft Wendepunkte, die nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für die Gemeinschaften von Bedeutung sind. Andreas Sturm, ein ehemaliger Generalvikar des Bistums Speyer, ist ein solcher Fall. Vor mehr als zwei Jahren sorgte seine Entscheidung, der römisch-katholischen Kirche den Rücken zu kehren, für Schlagzeilen. Sein Entschluss war von tiefgehenden Überlegungen und persönlichen Überzeugungen geprägt, die er nun in einem neuen Lebensabschnitt verwirklicht.
Sturm, der bald seinen 50. Geburtstag feiert, hat eine neue Heimat in der alt-katholischen Kirche gefunden, einer Gemeinschaft, die traditionell liberal ist. In Singen am Hohentwiel engagiert sich der Theologe aktiv in zwei Gemeinden. Mit insgesamt 350 Mitgliedern widmet er sich nun einer Seelsorge, die ihm mehr Freiheit und Gestaltungsspielraum bietet. Seine Entscheidung, die katholische Kirche zu verlassen, ist für ihn kein Grund zur Reue. Im Gegenteil, er empfindet seinen Kirchenaustritt als einen „Befreiungsschlag“.
Ein Leben in der alt-katholischen Kirche
Sturm beschreibt seine Zeit als Generalvikar und die damit verbundenen Aufgaben als erdrückend. Er hebt hervor, dass die brodelnden Reformbewegungen in der katholischen Kirche oft gegen die strengen Vorgaben vorankommen, die durch den Vatikan und konservative Kräfte festgelegt werden. „Es war eine Illusion zu meinen, man könnte etwas verändern“, äußert Sturm und spricht damit die Enttäuschung vieler reformorientierter Katholiken an. Während seiner Amtszeit setzte er sich für die Mitwirkung von Laien, die Priesterweihe für Frauen und gegen den Missbrauch innerhalb der Kirche ein.
In seinem Buch, in dem er seine Gründe für den Kirchenaustritt detailliert schildert, stellt Sturm klar, dass es ihm nicht um persönliche Angriffe gegen die Kirche geht, sondern um einen ehrlichen Ausdruck seiner Erfahrungen. Der Titel seines Buches, „Ich muss raus aus dieser Kirche. Weil ich Mensch bleiben will“, verdeutlicht seine innere Zerrissenheit und die Herausforderungen, vor denen er stand. Bei vielen Katholiken wurde er für seinen klaren Reformkurs zum Hoffnungsträger, was den Schmerz über seinen Weggang nur verstärkte.
Die alt-katholische Kirche, die sich im 19. Jahrhundert als Protestbewegung gegen den römischen Papst gründete, erlaubt es Frauen, zu Priesterinnen gewählt zu werden. Diese progressive Haltung hat Sturm stark angezogen. „Mir gefällt es in der kleinen alt-katholischen Kirche, es ist ein Miteinander auf Augenhöhe“, sagt er und betont den wertschätzenden Austausch, den er erlebt. Diese Art der Gemeinschaft hebt sich deutlich von den Strukturen ab, die ihm in der römisch-katholischen Kirche begegnet sind.
Um seine Rolle in der alt-katholischen Kirche weiter zu festigen, arbeitet Sturm an seiner Masterarbeit im Bereich Alt-Katholische und Ökumenische Theologie an der Universität Bonn. Nach Abschluss seines Diploms kann er offiziell als alt-katholischer Priester gewählt werden. Dies zeigt, dass er bereit ist, sich voll und ganz dem Dienst an seinen Gemeindemitgliedern zu widmen, etwas, das ihm in seiner vorherigen Position oft verwehrt blieb.
In der alt-katholischen Gemeinschaft fand er nicht nur eine neue berufliche Heimat, sondern auch seine Partnerin. Sie heirateten kirchlich, was ihm viel bedeutet. Das kommende Jahr birgt außerdem einen aufregenden Moment für das Paar: den standesamtlichen Hochzeitstermin, auf den sie sich schon sehr freuen.
Andreas Sturm verkörpert den Wandel innerhalb der religiösen Landschaft und die Suche nach einem authentischen Glaubensleben jenseits von Konventionen. Seine Geschichte spiegelt den inneren Konflikt und die Hoffnung vieler Menschen wider, die sich in einem ähnlichen Dilemma befinden, und zeigt, dass es immer Wege gibt, die eigenen Überzeugungen zu leben und gleichzeitig Gemeinschaft zu erfahren.