Weiden in der Oberpfalz

„Kirchenpingarten: Widerstand gegen die Nazis und der Kampf um das Vereinsleben“

Im Jahr 1938 erlebte die Gemeinde und Pfarrei Kirchenpingarten, mit Pfarrer Geiger und der Marianischen Jungfrauenkongregation, starken Druck durch das NS-Regime, nachdem sie bei der Volksabstimmung zum Anschluss Österreichs unerwartet zahlreiche "Nein"-Stimmen abgaben und damit in ganz Deutschland für Aufsehen sorgten.

In der beschaulichen Gemeinde Kirchenpingarten, die in den 1930er-Jahren von den Schatten des Nationalsozialismus betroffen war, zeigt sich eine dynamische Geschichte des Widerstands. Heimatforscher Werner Veigl hat in den Pfarrarchiven aufgedeckt, dass die Pfarrei bis zur Machtergreifung der NSDAP im Jahr 1933 ein vielfältiges Vereinsleben besaß, das geprägt war von Gemeinschaft und sozialem Engagement.

Die Marianische Jungfrauenkongregation, gegründet im Jahr 1918, und andere religiöse Vereine spielten eine zentrale Rolle im sozialen Gefüge der Pfarrei. Besonders aktiv waren die Frauen der Jungfrauenkongregation, die nicht nur religiöse Werte vertraten, sondern sich auch um die ambulante Krankenpflege und die Unterstützung von Kriegsversehr­ten kümmerten. Der Einsatz dieser Frauengruppe war nicht nur ein Gebot der Nächstenliebe, sondern auch ein wichtiges Element des täglichen Lebens in der Gemeinde.

Der schleichende Druck des Nationalsozialismus

Mit der stärkeren Etablierung des Nationalsozialismus in den frühen 1930er-Jahren erfuhren die kirchlichen Vereine einen schleichenden aber bedrohlichen Druck. Bereits im Jahr 1933, kurz nach der Machtergreifung der NSDAP, begannen die Nationalsozialisten, katholische Vereinigungen aus dem öffentlichen Leben zu drängen. Die kirchlichen Aktivitäten wurden stark eingeschränkt und viele Vereine aufgelöst. Der Katholische Burschenverein, der 1907 in Kirchenpingarten gegründet wurde, war ebenfalls von diesen Maßnahmen betroffen.

Eine bemerkenswerte Stellungnahme der deutschen Bischöfe aus dem Jahr 1936 verdeutlichte die Vorbehalte gegen die Unterdrückung: „Wir können es nicht begrüßen, dass man unsere katholischen Vereine in ihrer segensreichen Tätigkeit immer mehr behindert…“ Solche Worte zeugten von der besorgten Lage der kirchlichen Gemeinschaften in dieser düsteren Zeit. Trotz dieser Widerstände versuchten viele Katholiken, ihrem Glauben treu zu bleiben.

Ein bemerkenswertes Wahlergebnis

Besonders aufhorchen ließ ein Gerücht aus Kirchenpingarten im Jahr 1938, als die Volksabstimmung über den Anschluss Österreichs an Deutschland stattfand. Während in Weidenberg, einer Hochburg der Nationalsozialisten, fast einstimmig für den Anschluss gestimmt wurde, erregte das Wahlergebnis aus Kirchenpingarten Empörung. Mit 38 „Nein“-Stimmen fielen die Stimmen zur Empörung der Ortspolitiker sehr negativ aus. Dieses Ereignis erweckte nicht nur landesweite Aufmerksamkeit, sondern wurde von den NS-Gruppen als „nationale Schande“ empfunden.

In der Folge entwickelte sich eine wütende Reaktion seitens der Weidenberger SA, die mit der Absicht kam, den Kirchenpingartner „Verrätern“ Einhalt zu gebieten. Am Abend des Wahlereignisses riefen rund 30 SA-Leute, unterstützt von ihrem Ortsgruppenleiter, einen Schockmoment herbei. Es kam zu einem Übergriff auf die Pfarrgemeinde, in dessen Verlauf Pfarrer Geiger und Kaplan Winter eine peinliche Befragung über Einflussnahme auf das Wahlverhalten erlebten. Beide Geistlichen wiesen die Anschuldigungen zurück und versicherten, dass sie keine negativen Einwirkungen ausübten.

Die brutalen Übergriffe und die Befragungen der Geistlichen blieben in der Medienberichterstattung unbemerkt, was die Fähigkeit der nationalsozialistischen Propaganda zeigt, unbequeme Wahrheiten zu verschweigen. Tatsächlich wäre für die NSDAP die Reaktion der Kirchenpingartner nicht überraschend gewesen, da bereits vor den Abstimmungen Bedenken über das bevorstehende Wahlergebnis äußert worden waren.

Ein bleibendes Erbe des Widerstands

Die Ereignisse um die Volksabstimmung in Kirchenpingarten dokumentieren einen eindringlichen Moment im Widerstand gegen das NS-Regime. Der Mut einer kleinen Gemeinde, auch in Zeiten des drohenden Unheils die eigene Stimme zu erheben, bleibt ein bemerkenswerter Teil ihrer Geschichte. Auch wenn die Wahl und die darauf folgenden Repressionen tiefgreifende Wunden hinterließen, ist die Erinnerung an diese Zeit und die trotzigen Stimmen der wenigen, die sich gegen den Nationalsozialismus aussprachen, ein wichtiges Zeugnis für die Standhaftigkeit und den Glauben der Menschen in Kirchenpingarten.Die Entdeckung von Werner Veigl öffnet die Tür zu einem tiefergehenden Verständnis der damaligen Situation und der Widerstandsformen, die auch in den Schatten der Geschichte existieren können.

Die Ereignisse in Kirchenpingarten während der Zeit des Nationalsozialismus sind nicht nur ein lokales Phänomen, sondern spiegeln auch eine breitere gesellschaftliche Entwicklung wider. In dieser Zeit erlebte das katholische Vereinswesen in Deutschland einen dramatischen Wandel. Nach dem Ersten Weltkrieg blühte das Vereinsleben, insbesondere in ländlichen Regionen wie Kirchenpingarten, auf. Aber mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus und der Machtübernahme 1933 wurden viele dieser Vereine in ihrer Tätigkeit stark eingeschränkt oder gänzlich verboten.

Ein zentrales Element in dieser Entwicklung war die Loyalität der katholischen Gemeinden zu ihrer Religion und den damit verbundenen sozialen Strukturen. Diese Loyalität führte oft zu Konflikten mit den nationalsozialistischen Ideologien, die der Kirche und ihren Organisationen entgegenstanden. Die Organisationen wie die Marianische Jungfrauenkongregation waren nicht nur spirituelle Gemeinschaften, sondern auch soziale Netzwerke, die den Menschen in schwierigen Zeiten Halt gaben. Demgegenüber entblößte das repressive Vorgehen des Regimes gegen diese Vereine die tiefgreifenden gesellschaftlichen Umbrüche, die in dieser Zeit stattfanden.

Kulturelle Unterdrückung und Widerstand

Die Unterdrückung der katholischen Vereine war Teil einer umfassenderen Strategie des Regimes, die Gesellschaft zu homogenisieren und jegliche Form von Widerstand zu eliminieren. Die Kirchen und ihre Organisationen waren für viele Menschen ein Ort des Schutzes und der Gemeinschaft. Das macht das untypische Wahlergebnis in Kirchenpingarten umso bemerkenswerter. Es zeigt, dass trotz der angespannteren Lage nicht alle Bürger bereit waren, den Idealen des NS-Regimes zu folgen und darauf hinzuarbeiten, das kulturelle Erbe der katholischen Tradition zu bewahren.

Das Beispiel Kirchenpingarten verdeutlicht, wie lokalen Widerstand organisiert werden kann. Auch wenn die Nachrichten darüber unterdrückt und weitgehend ignoriert wurden, bleibt das Ergebnis der Volksabstimmung ein eindrückliches Zeichen des Protests einer Gemeinschaft. Diese Art von Widerstand war oft riskant, und es führte dazu, dass viele Menschen ihrer Überzeugung treu blieben, auch unter dem Druck des bekannten „Widerstands“ in verschiedenen deutschen Städten.

Einfluss auf die Nachkriegszeit

Die Erfahrungen und die Widerstandshandlungen in Gemeinden wie Kirchenpingarten hatten auch Auswirkungen auf die Nachkriegszeit. Nach 1945 war die katholische Kirche in Deutschland mit der Aufgabe konfrontiert, das Vertrauen in ihre Institutionen wiederherzustellen. Die Erinnerungen an den Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime wurden Teil der kollektiven Identität vieler katholischer Gemeinschaften und trugen dazu bei, die sozialen Strukturen in einer sich verändernden Gesellschaft neu zu definieren.

In den folgenden Jahrzehnten erlebte die katholische Kirche eine Teilorganisation und eine Rückkehr zur Kultur des öffentlichen Lebens, wobei sie teilweise auf das Erbe der während der NS-Zeit existierenden sozialen Netzwerke zurückgriff. Diese Entwicklungen sind ein Beispiel dafür, wie das historische Erbe und lokale Ereignisse wie die Wahl in Kirchenpingarten in der sozialen Erinnerung verankert wurden und die heutige Gemeindepolitik beeinflussen.

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