Weimar, Halle (mit epd). Der aktuelle Tarifstreit am Sophien- und Hufeland-Klinikum in Weimar wirft ein Schlaglicht auf die Herausforderungen, vor denen diakonische Einrichtungen im deutschen Gesundheitswesen stehen. In einem ungewöhnlichen Schritt haben die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) und die Diakonie Mitteldeutschland die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi vor dem Arbeitsgericht verklagt. Die Auseinandersetzung wurde durch einen ursprünglich angesetzten Streik am 1. August ausgelöst, zu dem Verdi die Beschäftigten des Klinikums aufgerufen hatte.
Der Dritte Weg: Ein umstrittenes Modell
Die kirchlichen Einrichtungen im deutschen Arbeitsrecht operieren unter dem sogenannten „Dritten Weg“, einem Modell, das die Regulierung von Arbeitskonflikten durch konsensorientierte Tarifverhandlungen vorsieht, anstatt durch Gewerkschaftsaktionen wie Streiks. Christoph Stolte, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Mitteldeutschland, äußert deutlich, dass der Dritte Weg als Grundlage für die Arbeitsbeziehungen in der Diakonie entscheidend ist. „Es handelt sich hierbei um eine Dienstgemeinschaft, die auf die bestmögliche Versorgung der Patienten ausgerichtet ist“, erklärt Stolte.
Die Rolle der Gewerkschaften
Die Gewerkschaft Verdi kritisiert hingegen, dass der Dritte Weg und die damit verbundenen Regelungen undemokratisch seien. Ein Verdi-Vertreter bemerkte, dass mittlerweile über die Hälfte der Angestellten des Klinikums in der Gewerkschaft organisiert sei. Diese Nachfrage nach mehr Mitbestimmung spiegelt eine breitere Entwicklung in der Arbeitswelt wider: Viele Beschäftigte fordern transparenteren und gerechten Zugang zu Arbeitsverträgen und Tarifverhandlungen, insbesondere in kirchlichen Kontexten.
Arbeitsbedingungen im Fokus
Die EKM und die Diakonie Mitteldeutschland argumentieren jedoch, dass die Arbeitsbedingungen in ihren Einrichtungen bereits sehr gut sind. Im Laufe dieses Jahres erhalten Mitarbeiter eine Gehaltserhöhung von 4,9 Prozent, gefolgt von weiteren 5,4 Prozent im nächsten Jahr. Zudem wurde die wöchentliche Arbeitszeit von 40 auf 39 Stunden reduziert. „Diese Rahmenbedingungen sind großartig und würdigen die Leistung der Mitarbeitenden“, so Stolte.
Rechtliche Schritte und ihre Folgen
Durch die Klage gegen Verdi würde nicht nur der Versuch unternommen, den Streik am 1. August zu verhindern, sondern auch eine grundlegende Klärung der rechtlichen Möglichkeiten für Gewerkschaftsaktionen angestrebt. Der Diakonie-Chef betont, dass Streiks in kirchlichen Einrichtungen rechtlich nicht vorgesehen sind. „Dieser Schritt ist notwendig, um unsere Arbeitsweise zu schützen und sicherzustellen, dass unsere Werte gewahrt bleiben“, sagt Stolte.
Eine neue Dimension des Konflikts
Diese Auseinandersetzung zeigt eine neue Qualität im Verhältnis zwischen Kirchen und Gewerkschaften. Björn Starke, Geschäftsführer des Erfurter Christophoruswerks, stellt fest, dass dies in Mitteldeutschland ein singulärer Vorgang sei und ein verstärktes Bemühen der Gewerkschaften widerspiegle, die Sonderregelungen im kirchlichen Arbeitsrecht infrage zu stellen. Der Dritte Weg habe den Vorteil, viele direkte Mitwirkungsmöglichkeiten für die Beteiligten zu bieten, so Starke.
Insgesamt verdeutlicht der Tarifstreit am Weimarer Klinikum die anhaltenden Spannungen zwischen den traditionellen Arbeitsmodellen in kirchlichen Einrichtungen und den zunehmend laut gewordenen Forderungen der Beschäftigten nach mehr Mitbestimmung und Flexibilität in der Arbeitswelt.
– NAG