Sachsen

Erich Kästner: Chronist der Abgründe im Dritten Reich

Im Jubiläumsjahr wird Erich Kästner in Dresden geehrt, während eine neue Biografie seine bedeutende Rolle als Chronist des "Dritten Reiches" beleuchtet, in der er seine Erlebnisse und Schocks über den Holocaust und die gesellschaftlichen Verhältnisse detailtreu dokumentierte.

Die Bedeutung von Erich Kästners Schaffen im Kontext des Dritten Reiches

Erich Kästner gilt heute als einer der bedeutendsten deutschen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Sein literarisches Erbe ist nicht nur durch seine Werke geprägt, sondern auch durch seine Fähigkeit, die Zeit, in der er lebte, kritisch zu reflektieren. Besonders wichtig ist seine Rolle als Chronist des „Dritten Reiches“, welche eine tiefere Auseinandersetzung mit den Geschehnissen jener Zeit ermöglicht.

Kästners Chronistenschicksal während der NS-Zeit

Ein entscheidender Faktor, der Kästner daran hinderte, ins Exil zu gehen, war sein starkes Bedürfnis, als Chronist in Deutschland zu verbleiben. Er sah den Wert darin, die Geschehnisse im Land aus erster Hand zu dokumentieren. Bereits ab 1939 begann er, systematisch Notizen zu sammeln. Dazu gehörten Zeitungsausschnitte, Witze, die im Flüsterton weitergegeben wurden, sowie Karikaturen, die einen kritischen Blick auf das Geschehen warfen.

Einblicke in die Gräueltaten: Kästners „Blaues Buch“

Im Kontext seiner Aufzeichnungen ist das geheime Kriegstagebuch, das er unter dem Titel „Das Blaue Buch“ führte, von besonderer Bedeutung. Dieses Tagebuch war nicht nur eine persönliche Reflexion, sondern auch ein Schutzmechanismus, den er während der Luftangriffe in den Luftschutzkellern mit sich führte. Die Aufzeichnungen geben einen eindrucksvollen Einblick in das alltägliche Leben eines Schriftstellers inmitten eines grausamen Konflikts und zeugen von seiner Unerschrockenheit.

Die Begegnung mit der Wahrheit nach dem Krieg

Ein Wendepunkt in Kästners Leben war die Begegnung mit Männe Kratz, einem Überlebenden des Konzentrationslagers Auschwitz, im Juli 1945. Kratz schilderte die unmenschlichen Bedingungen des Lagers und die brutalen Tötungsmaschinerien, die dort herrschten. Der Schock über diese Berichte führte dazu, dass Kästner seine bisherigen Notizen überdachte und erkannte, dass sie den Schrecken des Krieges nicht gerecht werden konnten. Diese Einsicht ist besonders wichtig, da sie sein schriftstellerisches Wirken nachhaltig beeinflusste.

Fehlende Sprache für das Unaussprechliche

Laut dem Literaturwissenschaftler Hanuschek bewies Kästner in dieser Phase bemerkenswertes Urteilsvermögen. Er stellte fest, dass es zu diesem Zeitpunkt keinen passenden „Sittenroman über das ‚Dritte Reich'“ hätte geben können; die gesellschaftliche und literarische Sprache war zu diesem Zeitpunkt schlichtweg nicht vorhanden. Es gab keine ästhetische Strategie, um mit den Schrecken der Shoah umzugehen – eine Herausforderung, der sich die Schriftsteller der Nachkriegszeit erst lange danach stellen konnten.

Fazit: Kästners anhaltende Relevanz

Die Auseinandersetzung mit Erich Kästners Werk und seinen Aufzeichnungen bleibt auch Jahrzehnte nach seinem Tod von großer Bedeutung. Sie ermöglichen nicht nur eine kritische Reflexion der Vergangenheit, sondern zeigen auch, wie wichtig es ist, sich mit der Wahrheit auseinanderzusetzen und der Geschichte eine Stimme zu geben. Kästners Schaffen ist ein Beispiel dafür, wie Literatur als Werkzeug der Erinnerung und des Verständnisses in Zeiten des großen Unrechts fungieren kann.

NAG

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